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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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alle Märchen von seinem Gesang und was weiß ich, wie dieser Kalif von seinem
Lied gefesselt wurde, wie sein Gesang die Schönheit der Nacht verlängern konnte. Gott weiß, was der arme Mann alles schwatzte, persisch und arabisch zitierte, ich konnte mir keinen Reim darauf machen. Aber dann hat er das Tuch abgenommen, und in dem Käfig ist nichts als ein sprechender Papagei; irgendein Schwindler im Hehlerbasar muss die Federn angemalt haben! Wie konnte ich das nun dem armen Mann sagen, wo er doch so aufgeregt war wegen seinen Vogels und alles und dasaß und rief. ‹Sing, kleiner Bülbül! Sing!› ... und es ist wirklich komisch, kurz bevor er starb, weil man ihn angemalt hatte, hat er ihm diese eine Zeile wiederholt, geradeheraus  – nicht krächzend wie ein Vogel, wisst ihr, sondern in seiner eigenen nämlichen Stimme: ‹Sing kleiner Bülbül! Sing!›»
    Aber es sollte noch schlimmer kommen. Ein paar Tage später saß ich mit Alice auf der eisernen Wendeltreppe für die Dienstboten, als sie sagte: «Baba, ich weiß nicht, was in deinen Daddy gefahren ist. Den ganzen Tag sitzt er da unten und verflucht den Hund mit Flüchen!» Die Promenadenmischung, die wir Sherri getauft hatten, war Anfang des Jahres das zweigeschossige Hügelchen hochspaziert und hatte uns einfach adoptiert, ohne zu wissen, dass auf Methwold’s Estate das Leben für Tiere eine gefährliche Sache war; und in seiner Bezechtheit hatte Ahmed Sinai sie zum Versuchskaninchen für seine Experimente mit dem Familienfluch gemacht.
    Das war genau der erdichtete Fluch, den er sich zusammenphantasiert hatte, um William Methwold zu beeindrucken, doch in den verflüssigten Kammern seines Gehirns überredeten ihn nun die Dschinns, dass er nicht erfunden sei, dass er nur die Worte vergessen habe; deshalb verbrachte er in seinem ungesund einsamen Büro lange Stunden damit, mit Formeln zu experimentieren ...
    «Mit was für Zeug er das arme Geschöpf verflucht!», sagte Alice. «Mich wundert’s, dass es nicht auf der Stelle tot umfällt.»
    Aber Sherri saß einfach in der Ecke und grinste ihn blöde an, weigerte sich, dunkelrot anzulaufen oder sich mit Geschwüren zu bedecken, bis er eines Abends aus seinem Büro ausbrach und
Amina befahl, uns alle zum Hornby Vellard zu fahren. Auch Sherri kam mit. Mit verdutzten Gesichtern spazierten wir den Vellard auf und ab, und dann sagte er: «Steigt ins Auto ein, alle.» Nur Sherri wollte er nicht mitfahren lassen ... als der Rover mit meinem Vater am Steuer losbrauste, begann sie, hinter uns herzujagen, während das Äffchen schrie Papapapa und Amina bettelte Janum-bitte und ich in stummem Entsetzen dasaß. Wir mussten kilometerweit fahren, fast bis zum Santa-Cruz-Flughafen, bevor er sich dafür rächen konnte, dass die Hündin sich weigerte, seinen Zauberkünsten zu erliegen ... beim Laufen platzte ihr eine Arterie, und sie starb, Blut aus Maul und Hintern spritzend, unter dem Blick einer hungrigen Kuh.
    Das Messingäffchen (das Hunde noch nicht einmal mochte) weinte eine Woche lang; meine Mutter bekam Angst, sie würde austrocknen, und hieß sie literweise Wasser trinken, goss es, wie Mary sagte, in sie hinein, als sei sie ein Rasen; mir aber gefiel der neue junge Hund, den mein Vater mir, vielleicht aus einem aufflackernden Schuldgefühl heraus, zu meinem zehnten Geburtstag kaufte; er hieß Baroness Simki von der Heiden und hatte einen Stammbaum, der von preisgekrönten Schäferhunden nur so strotzte, obwohl meine Mutter später entdeckte, dass er genauso falsch wie der angebliche Bülbül war, genauso eingebildet wie der vergessene Fluch und die Mogul-Vorfahren meines Vaters; und nach sechs Monaten starb er an einer Geschlechtskrankheit. Danach hatten wir keine Haustiere mehr.
     
    Mein Vater war nicht der Einzige, der sich meinem zehnten Geburtstag mit dem Kopf in den Wolken seiner privaten Träume näherte, denn da ist Mary Pereira, die in ihrer Vorliebe für die Zubereitung von Chutneys, Kasaundis und Pickles aller Art schwelgt und trotz der Gegenwart ihrer fröhlichen Schwester Alice ein Gesicht macht, als würde sie von Gespenstern heimgesucht.
    «Hallo, Mary!» Padma – die offenbar eine Schwäche für meine
verbrecherische Ayah entwickelt hat – begrüßt ihre Rückkehr ins Rampenlicht. «Was ist denn mit ihr los?»
    Dies, Padma: von Albträumen geplagt, in denen Joseph D’Costa Überfälle verübte, fiel es Mary immer schwerer, Schlaf zu finden. Weil sie wusste, was die Träume für sie

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