Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
Naseem, «ich muss also einen neuen Arzt finden. Oder ich bekomme vielleicht das alte Weib wieder, das von nichts eine Ahnung hat.»
«Da ich eine Waise bin», sagte Doktor Aziz, «muss ich selbst anstelle meiner Verwandten kommen. Aber nichtsdestoweniger, Ghani Sahib, bin ich zum ersten Mal gekommen, ohne dass man nach mir geschickt hat. Dies ist keine Visite.»
«Mein lieber Junge!» Ghani klopfte Aadam auf den Rücken. «Natürlich musst du sie heiraten. Mit einer erstklassig guten Mitgift! Ich scheue keine Unkosten! Es wird die Hochzeit des Jahres sein, ganz gewiss, ja!» «Ich kann dich nicht zurücklassen, wenn ich gehe», sagte Aziz zu Naseem. Ghani sagte: «Schluss mit dem Spektakel! Diesen Zirkus mit dem Laken brauchen wir nicht mehr! Lasst es fallen, ihr Frauen, das ist jetzt ein junges Liebespaar!»
«Endlich», sagte Aadam Aziz, «endlich sehe ich dich ganz. Aber nun muss ich gehen. Meine Visite ... und eine alte Freundin ist bei mir. Ich muss es ihr sagen, sie wird sich für uns beide freuen. Eine liebe Freundin aus Deutschland.»
«Nein, Aadam Baba», sagte sein Träger, «seit heute Morgen habe ich Ilse Begum nicht mehr gesehen. Sie hat diesen alten Tai angestellt, um einen Ausflug in der Schikara zu machen.»
«Was ist da zu sagen, Herr?», murmelte Tai unterwürfig. «Es ist mir in der Tat eine Ehre, in das Heim einer so hohen Persönlichkeit, wie Sie es sind, bestellt zu werden. Herr, die Dame hat mich für einen Ausflug zu den Mogul-Gärten verpflichtet, um sie zu sehen, bevor der See zufriert. Eine ruhige Dame, Doktor Sahib, kein Wort hat sie von sich gegeben die ganze Zeit. So habe ich meinen nichtswürdigen privaten Gedanken nachgehangen, wie alte Narren es tun, und als ich mich nach ihr umdrehe, sitzt sie plötzlich nicht mehr auf ihrem Platz. Sahib, ich schwöre beim Kopf meiner Frau,
es ist unmöglich, über die Rücklehne des Sitzes zu sehen, wie sollte ich es also wissen? Glauben Sie einem armen alten Fährmann, der Ihr Freund war, als Sie jung waren...»
«Aadam Baba», unterbrach der alte Träger, «entschuldigen Sie mich, aber gerade habe ich auf ihrem Tisch diesen Zettel gefunden. »
«Ich weiß, wo sie ist.» Doktor Aziz starrte Tai an. «Ich weiß nicht, wie du es schaffst, dich immer in mein Leben einzumischen, aber du hast mir den Ort einmal gezeigt. Du hast gesagt: Gewisse ausländische Frauen kommen hierher, um zu ertrinken.»
«Ich, Sahib?» Tai schockiert, übel riechend, unschuldig. «Der Kummer spielt Ihrem Verstand einen Streich. Wie kann ich von solchen Dingen wissen?»
Und nachdem der Körper, aufgebläht, eingehüllt in Wasserpflanzen, von einer Gruppe Fährleute mit ausdrucksleeren Gesichtern herausgefischt worden war, besuchte Tai die Schikara-Anlegestelle und sagte den Männern dort, während sie vor seinem Atem zurückwichen, der stank wie der Atem eines unter der Ruhr leidenden Ochsen: «Er gibt mir die Schuld, stellt euch das vor! Bringt seine losen Europäerinnen her und sagt mir, es sei meine Schuld, wenn sie in den See springen! ... Ich frage euch, woher wusste er so genau, wo zu suchen war? Ja, fragt ihn das, fragt diesen Nakkoo Aziz!»
Sie hatte eine Nachricht hinterlassen. Sie lautete: «Ich habe es nicht so gemeint.» Ich gebe keinen Kommentar; diese Ereignisse, die, ich weiß nicht, wie, über meine Lippen gepurzelt sind, durch Eile und Emotion verstümmelt, sollen andere beurteilen. Lassen Sie mich nun direkt werden und sagen, dass Tai während des langen, harten Winters 1918/19 krank wurde, sich eine zerstörerische Form von Hautkrankheit zuzog, ähnlich diesem europäischen Fluch, der Skrofulose genannt wird; aber er weigerte sich, Doktor Aziz auf zusuchen, und wurde von einem ortsansässigen Heilpraktiker behandelt. Und im März, als der See auftaute, fand in einem großen Zelt im Park von Grundbesitzer Ghanis Haus eine Hochzeit statt.
Der Ehevertrag sicherte Aadam Aziz eine beachtliche Geldsumme, die dazu beitragen würde, ein Haus in Agra zu kaufen, und die Mitgift schloss auf Doktor Aziz’ speziellen Wunsch ein bestimmtes verstümmeltes Betttuch ein. Das junge Paar saß auf einem Dais, bekränzt und frierend, während die Gäste vorbeidefilierten und ihm Rupien in den Schoß warfen. In der Nacht legte mein Großvater das Betttuch mit dem Loch unter seine Braut und sich, und am Morgen war es mit drei Blutstropfen geschmückt, die ein kleines Dreieck formten. Am Morgen wurde das Laken vorgezeigt, und nach der Zeremonie, bei der man den
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