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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Sachen aufzuhalten hieß nur den Ballon meines Gleichmuts durchlöchern; deshalb tat ich mein Bestes, um sie aus meinen Gedanken zu verdrängen. Außerdem stellte sich heraus, dass das Leben bei Hanif und Pia Aziz genau das machte, was mein Onkel versprochen hatte: jede Menge Spaß.
    Sie machten all das Getue um mich, das Kinder von kinderlosen Erwachsenen erwarten und huldvoll akzeptieren. Ihre Wohnung über dem Marine Drive war nicht groß, hatte aber einen Balkon, von dem aus ich Erdnussschalen auf die Köpfe vorübergehender
Passanten fallen lassen konnte; es gab kein Gästezimmer, aber mir wurde ein köstlich weiches weißes Sofa mit grünen Streifen angeboten (ein früher Beweis für meine Verwandlung in das Kolynos-Kind); Ayah Mary, die mir anscheinend ins Exil gefolgt war, schlief auf dem Fußboden neben mir. Tagsüber füllte sie meinen Magen mit den versprochenen Kuchen und Süßigkeiten (bezahlt von meiner Mutter, wie ich mittlerweile glaube); ich hätte eigentlich unendlich fett werden müssen, nur hatte ich wieder einmal begonnen, in andere Richtungen zu wachsen, und am Ende jenes Jahres mit seiner beschleunigten Geschichte hatte ich tatsächlich (ich war erst elfeinhalb) meine volle Erwachsenengröße erreicht, als hätte mich jemand bei meinen Babyspeckfalten gepackt und sie ausgequetscht wie eine Zahnpastatube, sodass unter dem Druck die Zentimeter nur so aus mir herausschossen. Durch den Kolynos-Effekt vor Fettleibigkeit gerettet, sonnte ich mich im Entzücken meines Onkels und meiner Tante, die begeistert waren, ein Kind im Haus zu haben. Wenn ich Seven-Up auf dem Teppich verschüttete oder in mein Essen nieste, sagte mein Onkel schlimmstenfalls: «Hai-yo! Schwarzer Mann!» in seiner dröhnenden Dampfschiffstimme und machte die Wirkung dadurch zunichte, dass er breit grinste. Meine Tante Pia wurde unterdessen die nächste in der langen Reihe von Frauen, die mich behexten und schließlich ganz und gar zugrunde richteten.
    (Ich sollte erwähnen, dass meine Hoden zu der Zeit, in der ich am Marine Drive wohnte, auf den Schutz durch den Beckenknochen verzichteten und beschlossen, vorzeitig und ohne Vorwarnung in ihre kleinen Säcke zu plumpsen. Auch dieses Ereignis spielte in der Folge eine Rolle.)
    Meine Mumani – meine Tante – die göttliche Pia Aziz: Mit ihr leben hieß im heißen, klebrigen Herzen eines Bombay-Films existieren. In jenen Tagen war die Filmkarriere meines Onkels auf Schwindel erregende Weise im Niedergang begriffen, und – so ist der Lauf der Welt – Pias Stern sank mit ihm. Ihre Gegenwart ließ
jedoch keinerlei Gedanken an Misserfolg aufkommen. Der Filmrollen beraubt, hatte Pia ihr Leben in einen Spielfilm verwandelt, in dem ich in einer zunehmenden Zahl von Nebenrollen eingesetzt wurde. Ich war der getreue Leibdiener: Pia in Unterröcken, mit weichen Hüften, die sich meinen verzweifelt abgewandten Augen entgegenrundeten, kicherte, während ihre Augen, von Kajal glänzend, gebieterisch blitzten –«Komm schon, Junge, weshalb bist du so scheu, halt bitte diese Falten, solange ich den Sari drapiere.» Ich war außerdem ihr vertrauter Gefährte. Während mein Onkel auf chlorophyllgestreiftem Sofa saß und sich Drehbücher ausdachte, die nie jemand verfilmen würde, hörte ich dem nostalgischen Monolog meiner Tante zu, wobei ich versuchte, meine Augen von zwei unwahrscheinlichen Kugeln, rund wie Melonen, golden wie Mangos, abzuwenden: Ich beziehe mich, wie Sie wahrscheinlich erraten haben, auf die entzückenden Brüste Pia Mumanis. Sie saß auf dem Bett, einen Arm über die Stirn gelegt, und ereiferte sich: «Weißt du, Junge, ich bin eine großartige Schauspielerin, ich habe mehrere Hauptrollen gespielt! Aber sieh, wie das Schicksal so spielt! Früher einmal, mein Junge, hat Gott weiß wer buchstäblich darum gebettelt, in diese Wohnung kommen zu dürfen, früher einmal bezahlten die Reporter von Filmfare und Screen Goddess Bestechungsgelder, um hereinzukommen! Ja, und das Tanzen, ich war berühmt im Restaurant Venice – all die bekannten Jazzmusiker kamen und saßen mir zu Füßen, ja sogar der große Braz. Junge, wer war nach den Liebenden von Kaschmir ein größerer Star? Nicht Poppy, nicht Vyjayantimala, kein Mensch!» Und ich nickte eindringlich, nein-natürlichniemand, während ihre wunderbaren in Haut gehüllten Melonen sich hoben und ... mit einem dramatischen Aufschrei fuhr sie fort: «Aber selbst damals, in der Zeit unseres unüberbietbaren Ruhms, jeder Film ein

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