Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
Orden-und-Epauletten rochen etwas und wandten sich ihm mit einem Ausdruck unendlichen Abscheus zu, und dann (das war das Schlimmste von allem) wurde gelacht.
General Zulfikar hatte gerade zu seiner Rede angehoben: «Wenn Sie gestatten, Sir, werde ich die Strategie für die heutige Nacht einmal in allen Einzelheiten darlegen» – da machte sein Sohn in die Hosen. In kalter Wut warf mein Onkel seinen Sohn hinaus; «Lude! Weib!», folgte es Zafar aus dem Esszimmer nach in der dünnen scharfen Stimme seines Vaters; «Feigling! Schwuler! Hindu!», tönte es aus dem Kasperlgesicht, sodass es den Sohn die Treppe hinauftrieb ... Zulfikars Blick blieb an mir hängen. Eine Bitte war in seinen Augen zu lesen. Rette die Ehre der Familie. Mach die Blamage, die ich meinem Sohn verdanke, wieder wett. «Du, mein Junge!», sagte mein Onkel. «Willst du herkommen und mir helfen?»
Natürlich nickte ich. Ich bewies meine Männlichkeit, meine Eignung zum Sohn, als ich meinem Onkel half, die Revolution zu machen. Und dadurch, dass ich das tat, dass ich mir seine Dankbarkeit verdiente, dass ich das Gekicher der versammelten Orden-und-Epauletten zum Verstummen brachte, schuf ich mir einen neuen Vater. General Zulfikar wurde der Letzte in der Reihe der Männer,
die gewillt waren, mich «Sonny» oder «Sonny Jim» oder sogar schlicht «mein Sohn» zu nennen.
Wie wir die Revolution machten: General Zulfikar beschrieb Truppenbewegungen; ich bewegte symbolisch Pfefferstreuer hin und her, während er seine Ausführungen vorbrachte. Im Bann des aktiv-metaphorischen Verknüpfungsmodus verschob ich Salzgefäße und Schüsselchen mit Chutney: Dieses Senfglas ist Kompanie A, die das Hauptpostamt besetzt; dort stehen zwei Pfefferstreuer links und rechts von einem Vorlegelöffel, was bedeutet, dass Kompanie B den Flughafen eingenommen hat. Das Schicksal der Nation lag in meinen Händen, als ich Gewürze und Besteck verschob, leere Birianiteller mit Hilfe von Wassergläsern gefangen nahm, Salzgefäße als Wachen um Wasserkaraffen postierte. Und als General Zulfikar aufhörte zu reden, endete auch der Marsch des Tafelservices. Ayub Khan schien es sich auf seinem Stuhl gemütlich zu machen; bildete ich mir nur ein, dass er mir zuzwinkerte? Auf jeden Fall sagte der Oberkommandierende: «Ausgezeichnet, Zulfikar, gute Leistung.»
Bei den von Pfefferstreuern et cetera ausgeführten Zügen blieb ein einziger Gegenstand verschont: ein Sahnekännchen aus massivem Silber, das bei unserem Coup auf der Tischplatte das Oberhaupt des Staates darstellte, Präsident Iskandar Mirza; drei Wochen lang blieb Mirza noch im Amt.
Ein elfjähriger Junge kann nicht beurteilen, ob ein Präsident wirklich korrupt ist, selbst wenn Orden-und-Epauletten es behaupten; es steht Elfjährigen nicht an, zu sagen, ob Mirzas Verbindungen zu der schwachen Republikanischen Partei ihn für ein hohes Amt unter dem neuen Regime untauglich machten. Saleem Sinai gab kein politisches Urteil ab, aber als mich mein Onkel am 1. November wachrüttelte, natürlich um Mitternacht, und flüsterte: «Komm, Sonny, es ist Zeit, dass du einen Vorgeschmack auf die Sache selbst kriegst!», sprang ich fix aus dem Bett; ich zog mich an und ging in die Nacht hinaus, in dem stolzen Bewusstsein, dass mein Onkel meine Begleitung der seines eigenen Sohnes vorgezogen hatte.
Mitternacht. Rawalpindi flog mit siebzig Meilen in der Stunde an uns vorbei. Motorräder vor uns neben uns hinter uns. «Wohin fahren wir, Onkel Zulfi?» Wart’s ab. Die schwarze Limousine mit den getönten Scheiben hält vor einem im Dunklen liegenden Haus. Posten bewachen die Tür mit über Kreuz gehaltenen Gewehren, die auseinander gehen, um uns durchzulassen. Ich marschiere im Gleichschritt an der Seite meines Onkels durch schwach erleuchtete Korridore, bis wir plötzlich in ein dunkles Zimmer geraten, in dem ein Mondstrahl ein Himmelbett beleuchtet. Ein Moskitonetz hängt wie ein Leichentuch über dem Bett.
Ein Mann wacht auf, verwirrt, was zum Teufel geht ... Doch General Zulfikar hält einen langläufigen Revolver; das Rohr wird mmmff dem Mann in den aufgerissenen Mund geschoben. «Halt’s Maul», sagt mein Onkel überflüssigerweise. «Komm mit.» Ein nackter, übergewichtiger Mann taumelt aus seinem Bett. Seine Augen fragen: Werdet ihr mich erschießen? Schweiß rollt den stattlichen Bauch hinunter, glitzert im Mondlicht, tröpfelt auf sein Pipimännchen, aber es ist bitterkalt, er schwitzt nicht wegen der Hitze. Er sieht aus
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