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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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wie ein weißer lachender Buddha, lacht aber nicht. Zittert. Der Revolver meines Onkels wird ihm aus dem Mund gezogen. «Umdrehen. Abteilung marsch!» ... Und der Lauf der Waffe wird zwischen die Backen eines überfütterten Gesäßes gestoßen. Der Mann schreit: «Um Himmels willen, Vorsicht, das Ding ist nicht gesichert!» Junge Burschen kichern, als nacktes Fleisch im Mondschein auftaucht, in die schwarze Limousine bugsiert wird ... In jener Nacht saß ich neben einem nackten Mann, den mein Onkel zu einem Militärflughafen fuhr; ich stand da und sah zu, als das bereitgestellte Flugzeug losrollte, schneller wurde und abhob. Was aktiv-metaphorisch mit Pfefferstreuern begann, endete damals; ich stürzte nicht nur eine Regierung – ich schickte auch einen Präsidenten ins Exil.
    Mitternacht hat viele Kinder; die Nachkommen der Unabhängigkeit waren nicht alle von menschlicher Art. Gewalt, Korruption,
Armut, Generäle, Chaos, Gier und Pfefferstreuer ... ich musste ins Exil gehen, um zu erfahren, dass die Kinder der Mitternacht mannigfaltiger waren, als ich – sogar ich – es mir hätte träumen lassen.
     
    «Wirklich und wahrhaftig?», fragt Padma. «Du warst wirklich dabei?» Wirklich und wahrhaftig. «Man sagt, dass Ayub ein guter Mann war, ehe er böse wurde», sagt Padma; das ist noch die Frage. Aber mit elf Jahren traf Saleem solche Urteile nicht. Die Züge der Pfefferstreuer erfordern keine moralische Wahl. Saleem war nicht an öffentlichem Umbruch interessiert, sondern an persönlicher Rehabilitierung. Sie sehen das Paradox – mein bis dahin folgenreichster Raubzug in die Geschichte war vom provinziellsten aller Beweggründe motiviert. In jedem Fall war es nicht «mein» Land – wenigstens damals nicht. Nicht mein Land, obwohl ich darin lebte – als Flüchtling, nicht als Bürger; im indischen Pass meiner Mutter eingetragen, hätte ich mir wahrscheinlich eine Menge Misstrauen eingehandelt, wäre vielleicht sogar deportiert oder als Spion verhaftet worden, wären da nicht mein zartes Alter gewesen und die Macht meines Beschützers mit dem Kasperlgesicht ... vier lange Jahre lang.
    Vier Jahre des Nichts.
    Außer dass ich zu einem Teenager heranwuchs. Außer dass ich zusah, wie meine Mutter auseinander brach. Außer dass ich beobachtete, wie das Äffchen, ein entscheidendes Jahr jünger als ich, dem heimtückischen Bann dieses gottbesessenen Landes verfiel; das Äffchen, einst so rebellisch und wild, nahm ein zimperliches und unterwürfiges Gehabe an, das sogar ihr selbst am Anfang aufgesetzt vorgekommen sein muss; das Äffchen lernte, wie man kochte und einen Haushalt führte und Gewürze auf dem Markt kaufte; das Äffchen vollzog den endgültigen Bruch mit dem Vermächtnis ihres Großvaters, indem sie Gebete auf Arabisch lernte und sie zu allen vorgeschriebenen Zeiten aufsagte; bei dem Äffchen offenbarte sich der puritanisch-fanatische Zug, der schon damals zutage getreten
war, als sie um eine Nonnentracht gebeten hatte; sie, die alle Angebote irdischer Liebe verschmähte, wurde von der Liebe zu jenem Gott verführt, den man nach einem Götzenbild in einem heidnischen Schrein benannt hatte, der um einen riesigen Meteoriten errichtet worden war; Allah in der Kaaba, dem Heiligtum des großen Schwarzen Steines.
    Aber sonst war nichts.
    Vier Jahre ohne die Mitternachtskinder; vier Jahre ohne Warden Road und Breach Candy und Scandal Point und die Verlockungen der Ein-Meter-Schokolade; weit weg von der Cathedral School und der Reiterstatue Shivajis und den Melonenverkäufern am Tor zu Indien; weg von Divali und Ganesh Chaturthi und Kokosnuss-Tag; vier Jahre der Trennung von einem Vater, der allein in einem Haus saß, das er nicht verkaufen wollte; allein, abgesehen von Professor Schaapsteker, der in seiner Wohnung blieb und die Gesellschaft der Menschen scheute.
    Ist es wirklich möglich, dass vier Jahre lang nichts geschieht? Offensichtlich nicht ganz. Meinem Vetter Zafar, dem sein Vater nie verziehen hatte, dass er in Anwesenheit der Geschichte in die Hosen gemacht hatte, wurde bedeutet, dass er zur Armee gehen werde, sobald er alt genug sei. «Ich will sehen, wie du beweist, dass du kein Weib bist», sagte sein Vater zu ihm.
    Und Bonzo starb; General Zulfikar vergoß mannhafte Tränen.
    Und Marys Geständnis verblasste, bis es, weil niemand davon sprach, als böser Traum empfunden wurde, von jedem außer mir.
    Und die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan wurden (ohne mein Zutun) immer

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