Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
Auswirkungen von Alias kulinarischer Hexerei (die sich sowohl über den Magen auswirkte – nämlich wenn er aß – als auch durch die Augen – nämlich wenn er seine Frau ansah) waren mittlerweile nicht mehr zu übersehen: Er betrieb die Geschäfte immer lascher und verhielt sich der Belegschaft gegenüber gereizt.
Um den Ruin der Handtücher Marke Amina zusammenfassend zu schildern: Es fing damit an, dass Ahmed Sinai seine Arbeiter so herumzukommandieren begann, wie er es einst in Bombay mit seinen Dienstboten getan hatte, und dass er versuchte, Webermeistern und Hilfspackern gleichermaßen die ewigen Wahrheiten bezüglich der Herr-Knecht-Beziehung einzuschärfen. Die Folge war, dass die Leute ihm scharenweise davonliefen und beispielsweise erklärten: «Ich bin nicht Ihr Latrinenreiniger, Sahib; ich bin ein qualifizierter Weber der Gruppe A», und sich überhaupt weigerten, ihm die geziemende Dankbarkeit dafür zu erweisen, dass er die Güte besaß, sie zu beschäftigen. Benommen vom Zorn der Lunchpakete meiner Tante, ließ er sie alle ziehen und heuerte stattdessen einen Haufen gemeiner Faulpelze an, die Baumwollrollen und Maschinenteile klauten, aber bereit waren, Kratzfüße zu machen, wann immer man es von ihnen verlangte; und der Anteil der Ausschussware ging erschreckend in die Höhe, Aufträge wurden nicht eingehalten, Neubestellungen nahmen erschreckend ab. Ahmed Sinai ging dazu über, Berge – Himalajas! – von Ausschussware mit nach Hause zu bringen, denn das Fabriklager war zum Überfließen voll von den minderwertigen Produkten seiner Misswirtschaft; er gewöhnte sich das Trinken wieder an, und im Sommer dieses Jahres wurde das Haus in Guru Mandir wieder von den alten Obszönitäten seiner Schlacht mit den Dschinns überspült, und wir mussten uns seitlich an den Mount Everests und Nanga Parbats verhunzter Frotteetücher vorbeidrücken, die Diele und Korridore säumten.
Wir hatten uns dem Schoß des brodelnden Zorns meiner Tante ausgeliefert; mit Ausnahme von Jamila, die wegen ihrer langen
Abwesenheiten am wenigsten betroffen war, wurde uns allen die Hölle heiß gemacht. Es war eine leidvolle und verworrene Zeit, in der die Liebe meiner Eltern unter dem Gewicht ihres neuen Kindes und dem Gewicht des alten Grolls meiner Tante zerbrach und in der Verwirrung und Ruin langsam durch die Fenster des Hauses sickerten und von Herz und Verstand der Nation Besitz ergriffen, sodass der Krieg, als er dann ausbrach, in den gleichen betäubenden Dunst von Unwirklichkeit gehüllt war, in dem wir mittlerweile lebten.
Mein Vater steuerte stetig auf seinen Schlaganfall zu, doch bevor die Bombe in seinem Gehirn losging, brannte noch eine andere Sicherung durch; im April 1965 hörten wir von den sonderbaren Vorfällen im Ran von Kutch.
Während wir im Netz der Rache meiner Tante wie die Fliegen umherzappelten, mahlten die Mühlen der Geschichte weiter. Präsident Ayubs Ruf wurde schlechter: Gerüchte über Manipulationen bei der Wahl im Jahre 1964 wurden einander zugeraunt und ließen sich nicht unterdrücken. Dann war da noch die Sache mit dem Sohn des Präsidenten, Gauhar Ayub, dessen rätselhaftes Gandhara-Industrieunternehmen ihn über Nacht zu einem «Multi-Multi» machte. O endlose Folge ruchloser Söhne der Großen! Gauhar mit seinen Einschüchterungsmethoden und Prahlereien, und später in Indien Sanjay Gandhi mit seinem Maruti-Autounternehmen und seinem Jugend-Kongress, und nun auch noch Kanti Lal Desai ... die Söhne der Großen richten ihre Eltern zugrunde. Doch auch ich habe einen Sohn: Aadam Sinai, der sich mutig auflehnt gegen alles, was vorher war, wird den Trend umkehren. Söhne brauchen nicht unbedingt schlimmer zu sein als ihre Väter, sie können auch besser sein ... im April 1965 jedoch brachte die Fehlbarkeit der Söhne die Luft zum Klingen. Und wessen Sohn war es, der am I. April die Mauern des Präsidentenpalastes stürmte – welcher unbekannte Vater hatte den übel riechenden Kerl in die Welt gesetzt,
der auf den Präsidenten zulief und eine Pistole auf seinen Bauch abfeuerte? Einige Väter bleiben der Geschichte zum Glück unbekannt; auf jeden Fall scheiterte der Attentäter, weil sein Gewehr wunderbarerweise Ladehemmung hatte. Jemandes Sohn wurde von der Polizei abgeführt, damit ihm die Zähne einzeln gezogen wurden, damit ihm die Fingernägel versengt wurden; zweifellos drückte man brennende Zigarettenenden an seiner Eichel aus; deshalb wäre es für den namenlosen
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