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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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seine Kamera und zerschlug sie auf seinem Kopf. Glücklicherweise überlebte er, aber nirgendwo auf Erden gab es ein Foto meiner Großmutter. Sie war nicht so eine, die sich in dem kleinen schwarzen Kasten irgendeines Menschen einfangen ließ. Es reichte ihr, dass sie in unverschleierter, bargesichtiger Schamlosigkeit leben musste – das auch noch auf zeichnen zu lassen kam nicht in Frage.
    Vielleicht war es die Verpflichtung zu einem nackten Gesicht, gepaart mit Aziz’ ständigen Bitten, sie solle sich unter ihm bewegen, die sie auf die Barrikaden getrieben hatte. Die häuslichen Regeln, die sie aufstellte, ergaben ein so unbezwingliches System der Selbstverteidigung, dass Aziz nach vielen fruchtlosen Angriffen den Versuch, ihre vielen Schanzen und Bollwerke zu stürmen, mehr oder weniger aufgegeben hatte und sie wie eine große selbstgefällige Spinne in ihrer auserwählten Domäne herrschen ließ. (Vielleicht
war es auch gar kein System der Selbstverteidigung, sondern ein Mittel der Verteidigung gegen sich selbst.)
    Zu den Dingen, denen sie jeglichen Zugang verwehrte, gehörten alle politischen Angelegenheiten. Wenn Doktor Aziz über so etwas zu sprechen wünschte, besuchte er seine Freundin, die Rani, und Ehrwürdige Mutter schmollte, aber nicht sehr konzentriert, weil sie wusste, dass seine Besuche für sie einen Sieg darstellten.
    Das Doppelherz ihres Königreichs waren ihre Küche und ihre Vorratskammer. Ich habe beide nie betreten, erinnere mich aber, durch die verschlossenen Fliegengittertüren der Vorratskammer auf die geheimnisvolle Welt drinnen zu starren, eine Welt der hängenden Drahtkörbe, mit Leinentüchern abgedeckt, um die Fliegen fern zu halten, der Büchsen, die, wie ich wusste, angefüllt mit Gur und anderen Süßigkeiten waren, der verschlossenen Kästen mit ordentlichen quadratischen Schildern, der Nüsse und Rüben und Säcke voll Korn, der Gänseeier und Reisigbesen. Vorratskammer und Küche waren ihr unveräußerliches Territorium, und sie verteidigte sie grimmig. Als sie ihr letztes Kind, meine Tante Emerald, trug, bot ihr Ehemann ihr an, ihr die Aufgabe, den Koch zu beaufsichtigen, abzunehmen. Sie gab keine Antwort, aber als Aziz sich am nächsten Tag der Küche näherte, kam sie mit einem Metallkessel in der Hand zum Vorschein und versperrte den Eingang. Sie war fett und außerdem schwanger, sodass nicht mehr viel Platz in der Türöff nung blieb. Aadam Aziz runzelte die Stirn. «Was ist das, Frau?» Worauf meine Großmutter erwiderte: «Das ist, wieheißtesnoch, ein sehr schwerer Topf, und wenn ich dich nur ein einziges Mal hier drinnen erwische, wieheißtesnoch, stoße ich deinen Kopf hinein, tu etwas Dahi hinzu und mache, wieheißtesnoch, ein Korma.» Ich weiß nicht, wie meine Großmutter dazu kam, den Begriff wieheißtesnoch als ihr Leitmotiv anzunehmen, doch im Lauf der Jahre drang er immer häufiger in ihre Sätze ein. Ich stelle ihn mir gern als unbewussten Hilfeschrei vor ... als eine ernst gemeinte Frage. Ehrwürdige Mutter gab uns damit zu verstehen, dass sie trotz ihres Auftretens
und ihres Umfangs keinen Halt im Universum hatte. Sehen Sie, sie wusste einfach nicht, wie es hieß.
    ... Und am Esstisch herrschte sie nach wie vor gebieterisch. Kein Essen wurde auf den Tisch gestellt, keine Teller wurden gedeckt. Currygericht und Geschirr wurden auf einem niedrigen Beistelltisch zu ihrer Rechten arrangiert, und Aziz und die Kinder aßen, was sie austeilte. Es spricht für die Macht dieser Gewohnheit, dass sie ihrem Gatten, selbst wenn er von Verstopfung geplagt wurde, kein einziges Mal zugestand, sich sein Essen auszusuchen, und weder auf Bitten noch auf Ratschläge hörte. Eine Festung darf nicht wanken. Selbst dann nicht, wenn ihre Vasallen unregelmäßigen Stuhlgang haben. Während der langen Verborgenheit Nadir Khans und der häufigen Hausbesuche des jungen Zulfikar in der Cornwallis Road, der sich in Emerald verliebte, und des wohlhabenden Kunstlederhändlers namens Ahmed Sinai, der meine Tante Alia so tief verletzte, dass sie fünfundzwanzig Jahre lang grollte, bevor sie diesen Groll grausam an meiner Mutter ausließ, lockerte sich der eiserne Griff, in dem Ehrwürdige Mutter ihren Haushalt hielt, kein einziges Mal. Und sogar bevor Nadirs Ankunft das große Schweigen heraufbeschwor, hatte Aadam Aziz versucht, diesen Griff auf zubrechen, und war verpflichtet gewesen, einen Krieg gegen seine Frau zu führen. (All das trägt dazu bei, zu zeigen, wie bemerkenswert sein

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