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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Geräusche von Menschen und Vögeln treten an seine Stelle. Verkehrslärm scheint es überhaupt keinen zu geben. Die fünfzig Männer des Brigadegenerals Dyer setzen ihre Maschinengewehre ab und verlassen die Stätte. Sie haben insgesamt eintausendsechshundertfünfzig Salven in die unbewaffnete Menge gefeuert. Davon haben eintausendfünfhundertsechzehn ihr Ziel getroffen, einen Menschen getötet oder verwundet. «Gut geschossen», sagt Dyer zu seinen Männern. «Das war famos.»

    Als mein Großvater an jenem Abend nach Hause kam, versuchte meine Großmutter angestrengt, eine moderne Frau zu sein, ihn zufrieden zu stellen, und so verzog sie keine Miene über seine Erscheinung.«Ich sehe, du hast schon wieder das Jod verschüttet, kleiner Tollpatsch», sagte sie beschwichtigend.
    «Das ist Blut», antwortete er, und sie fiel in Ohnmacht. Als er sie mit Hilfe von ein wenig Hirschhornsalz wieder zu sich gebracht hatte, sagte sie: «Bist du verletzt?»
    «Nein», sagte er.
    «Aber wo bist du gewesen, mein Gott?»
    «Nirgends auf Erden», sagte er und begann in ihren Armen zu zittern.
    Meine eigene Hand, gestehe ich, hat angefangen zu schlottern; nicht nur wegen des Themas, sondern auch, weil ich einen Riss, dünn wie ein Haar, bemerkt habe, der in meinem Handgelenk unter der Haut aufbricht ... Macht nichts. Wir alle schulden dem Tod ein Leben. So lassen Sie mich mit dem unbestätigten Gerücht abschließen, dass der Fährmann Tai, der sich, kurz nachdem mein Großvater Kaschmir verlassen hatte, von seiner Skrofulose erholte, erst 1947 starb, als er (so erzählt man) über den Kampf Indiens und
Pakistans um sein Tal erzürnt war und mit der ausdrücklichen Absicht, sich zwischen die gegnerischen Armeen zu stellen und ihnen gründlich die Meinung zu sagen, nach Chhamb ging. Kaschmir für die Kaschmiris, das war seine Devise. Natürlich erschossen sie ihn. Oskar Lubin hätte diese rhetorische Geste vermutlich gutgeheißen; R. E. Dyer hätte vielleicht die Schießfertigkeit seiner Mörder lobend erwähnt.
    Ich muss zu Bett gehen. Padma wartet, und ich brauche ein bisschen Wärme.

Triff-den-Spucknapf
    Bitte glauben Sie, dass ich auseinander falle.
    Ich spreche nicht metaphorisch; auch ist dies nicht der Eröffnungszug einer melodramatischen, Rätsel aufgebenden, schmierigen Bitte um Mitgefühl. Ich meine ganz einfach, dass ich angefangen habe, wie ein alter Krug überall rissig zu werden – dass mein armer Körper, einzigartig, unschön, von zu viel Geschichte herumgestoßen, dem Austrocknen oben und unten ausgesetzt, von Türen verstümmelt, von Spucknäpfen am Kopf verletzt, angefangen hat, aus den Nähten zu platzen. Kurzum, ich löse mich buchstäblich auf, im Augenblick noch langsam, obwohl es Anzeichen für eine Beschleunigung gibt. Ich bitte Sie nur, hinzunehmen (wie ich es hingenommen habe), dass ich letztendlich in (annähernd) sechshundertdreißig Millionen Partikel anonymen und notwendigerweise vergesslichen Staubs zerfallen werde. Deshalb habe ich beschlossen, mich dem Papier anzuvertrauen, ehe ich vergesse. (Wir sind eine Nation von Vergesslichen.)
    Es gibt Momente des Schreckens, aber sie vergehen. Panik kommt wie ein blasenwerfendes Meeresungeheuer zum Luftholen hoch, schäumt an der Oberfläche, kehrt aber schließlich in die Tiefe zurück. Es ist wichtig, dass ich Ruhe bewahre. Ich kaue Betel und spucke in Richtung eines billigen Blechnapfes aus, spiele das uralte Spiel Triff-den-Spucknapf: Nadir Khans Spiel, das er von den alten Männern in Agra lernte ... und heutzutage kann man «Raketenpaans»kaufen, in denen zusätzlich zu der gaumenrötenden Betelpaste das Labsal des Kokains in einem Blatt eingeschlagen liegt. Aber das hieße mogeln.
    ... Aus meinen Blättern steigt der unverkennbare Geruch von
Chutney. Lassen Sie es mich nun also nicht länger verheimlichen: Ich, Saleem Sinai, Besitzer des sensibelsten Riechorgans der Geschichte, habe meine letzten Tage der Zubereitung von Würzmitteln en gros verschrieben. Aber nun: «Ein Koch?», stoßen Sie entsetzt hervor, «bloß ein Khansama? Wie ist das möglich?» Und ich räume ein, dass die Doppelbegabung für Kochkunst und Sprachkunst sich in der Tat selten zu solcher Meisterschaft entwickelt – doch bei mir ist es der Fall. Sie sind verblüfft, aber sehen Sie, ich bin schließlich nicht einer Ihrer Küchenhansel für zweihundert Rupien im Monat, ich bin mein eigener Herr und arbeite unter dem safranfarbenen und grünen Flimmern meiner persönlichen

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