Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Exerzierplatz stehen, wo sie von der Gebirgssonne gebraten wurden und in der Gebirgsluft zu Eis erstarrten. Mit herausgestreckter Brust, zurückgedrückten Schultern, starr vor Gehorsam, hören die drei jungen Männer die kichernde Stimme des Burschen des Stabsoffiziers, Lala Moin: «Ihr seid also die armen Grünschnäbel, die den Menschenhund bekommen!»
    Abends auf ihren Pritschen: «Spurensicherung und Nachrichtendienst! », flüstert Ayooba Baloch stolz. «Spione, Mann! OSS-117-Typen! Die sollen uns bloß auf diese Hindus loslassen – dann wird man schon sehen, wozu wir imstande sind! Schra-bumm! Schra-bamm! Was für Schwächlinge, Yara, diese Hindus! Alles Vegetarier! Gemüse», zischt Ayooba, «ist Fleisch immer unterlegen.» Er ist gebaut wie ein Panzer. Sein Bürstenschnitt beginnt direkt über den Augenbrauen. Und Farooq: «Glaubst du, es wird Krieg geben?» Ayooba schnaubt: «Was denn sonst? Warum soll’s denn keinen geben? Hat Bhutto Sahib nicht jedem Bauern einen Morgen Land versprochen? Wo soll es denn herkommen? Für so viel Boden müssen wir den Pandschab und Bengalen erobern! Wartet nur ab, nach den Wahlen, wenn die People’s Party gewonnen hat – Schra-bamm! Schra-proch!»
    Farooq ist beunruhigt. «Diese Inder haben Sikh-Truppen, Mann. Mit so langen Bärten und Haaren; bei Hitze juckt das wie verrückt, und sie drehen alle durch und kämpfen wie die Teufel ...!»
    Ayooba gluckst vor Vergnügen. «Vegetarier, ich schwör’s dir, Yaar ... wie sollen die denn so muskulöse Typen wie uns schlagen?» Aber Farooq ist lang und dünn.
    Shaheed Dar flüstert: «Aber was hat er damit gemeint: Menschenhund? »
    ... Morgen. In einer Hütte, in der eine Wandtafel hängt, poliert Stabsoffizier Iskandar seine Fingerknöchel am Rockaufschlag, während ein gewisser Hauptfeldwebel Najmuddin neue Rekruten einweist. Nach dem Schema Frage-und-Antwort; Najmuddin liefert sowohl die Fragen als auch die Antworten. Unterbrechungen sind nicht zulässig. Während über der Tafel die bekränzten Porträts von Präsident Yahya und Mutasim dem Märtyrer streng herabstarren. Und durch die (geschlossenen) Fenster das ständige Bellen von Hunden. Auch Najmuddins Fragen und Antworten werden gebellt. Wozu seid ihr hier? Zur Ausbildung. Auf welchem Gebiet? Verfolgung und Gefangennahme. Wie werdet ihr operieren? In Hundeeinheiten:
drei Mann, ein Hund. Welche besonderen Merkmale? Fehlen eines Mannschaftsoffiziers, Notwendigkeit, eigene Entscheidungen zu treffen, gleichzeitig erforderlich: ein ausgeprägter islamischer Sinn für Selbstdisziplin und Verantwortung. Auftrag der Einheiten? Unerwünschte Elemente auszurotten. Verhalten solcher Elemente? Heimtückisch, gut getarnt, unauffällig. Erklärte Absichten derselben? Verabscheuungswürdig: Zerstörung des Familienlebens, Ermordung Gottes, Enteignung von Großgrundbesitzern, Abschaffung der Filmzensur. Mit welchem Ziel? Vernichtung des Staates, Anarchie, Fremdherrschaft. Besonderer Anlass zur Besorgnis? Bevorstehende Wahlen und darauf folgende Zivilregierung. (Politische Gefangene wurden, werden befreit. Alles mögliche Gesindel läuft herum.) Pflichten der Einheiten? Bedingungslos gehorchen, unermüdlich fahnden, unerbittlich verhaften. Vorgehensweise? Verborgen, wirksam, schnell. Rechtliche Basis für solche Festnahmen? Pakistanische Notstandsverordnungen, die es gestatten, unerwünschte Personen für einen Zeitraum von sechs Monaten, ohne Kontakt zur Außenwelt, zu inhaftieren. Anmerkung: ein Zeitraum, der um weitere sechs Monate verlängert werden kann. Irgendwelche Fragen? Nein. Gut. Ihr seid HESPNAT-Einheit 22. Abzeichen mit Hündinnen werden an die Rockaufschläge genäht.
    Und der Menschenhund?
     
    Mit gekreuzten Beinen, blauäugig ins Leere starrend, sitzt er unter einem Baum. Bodhibäume wachsen in dieser Höhe nicht, er begnügt sich mit einem Chinarbaum. Seine Nase: knollig, gurkenähnlich, an der Spitze blau vor Kälte. Und auf seinem Kopf eine Mönchstonsur, wo einst Herrn Zagallos Hand. Und ein verstümmelter Finger, dessen fehlender Teil Masha Miovic zu Füßen fiel, nachdem Glandy Keith die Tür ... Und auf seinem Gesicht Flecken wie auf einer Landkarte ... «Pschsch – tu!» (Er spuckt aus.)
    Seine Zähne sind fleckig, Betelsaft rötet sein Zahnfleisch. Ein roter Strom ausgespuckter Paanflüssigkeit kommt über seine Lippen,
um mit löblicher Genauigkeit einen wunderschön gearbeiteten silbernen Spucknapf zu treffen, der vor ihm auf dem Boden steht. Ayooba