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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Frau. Und Ayooba sagt zum Buddha: «Das nächste Mal bist du dran.» Ayooba-der-Panzer zittert wie Espenlaub. Und die Zeit liegt tot in einem Reisfeld.
    Aber immer noch gibt es die sinnlose Jagd, den Feind, den man nie sehen wird, und der Buddha deutet: «Dort lang», und die vier rudern weiter, nach Süden Süden Süden, sie haben die Stunden gemordet und das Datum vergessen. Sie wissen nicht mehr, ob sie etwas nachjagen oder vor etwas weglaufen, aber was auch immer sie antreibt, es führt sie immer näher an die unmögliche Mauer. «Da lang», beharrt der Buddha, und dann sind sie drinnen, in dem Dschungel, der so dicht ist, dass die Geschichte kaum je ihren Weg hinein gefunden hat. Die Sundarbans: Sie verschlingen sie.

In den Sundarbans
    Ich gestehe: Es gab kein letztes schwer zu erjagendes Wild, das uns nach Süden Süden Süden trieb. Allen meinen Lesern möchte ich gerne mit entblößter Brust eingestehen: Während Ayooba Shaheed Farooq nicht zwischen der Jagd nach etwas und dem Weglaufen vor etwas unterscheiden konnten, wusste der Buddha, was er tat. Wenn ich mir auch bewusst bin, dass ich jeglichen zukünftigen Kommentatoren oder giftspritzenden Kritikern (denen ich sage: Schon zweimal habe ich Bekanntschaft mit Schlangengift gemacht; beide Male habe ich mich als stärker erwiesen als das Gift) durch ein Schuldbekenntnis, die Offenbarung moralischer Verworfenheit, den Beweis der Feigheit noch mehr Munition liefere, muss ich doch sagen, dass er, der Buddha, am Ende nicht mehr fähig war, seine Pflichten weiterhin so unterwürfig zu erfüllen, Fersengeld gab und floh. Von den an der Seele nagenden Maden des Pessimismus, der Sinnlosigkeit und der Scham infiziert, desertierte er in die geschichtslose Anonymität des Regenwaldes und schleppte in seinem Gefolge drei Kinder mit. Was ich hoffe sowohl in eingelegtem Gemüse als auch in Worten unsterblich zu machen: jene Geistesverfassung, in der die Folgen des Alles-Hinnehmens nicht geleugnet werden konnten, in der eine Überdosis Wirklichkeit eine ansteckende Sehnsucht nach Flucht in die Sicherheit von Träumen erzeugte ... Aber wie alle Zufluchtsorte war der Dschungel anders, vollkommen anders – war sowohl weniger als auch mehr -, als er erwartet hatte.
    «Ich bin froh», sagt meine Padma. «Ich bin so froh, dass du weggelaufen bist.» Aber ich bestehe darauf: nicht ich. Er. Er, der Buddha. Der, bis die Schlange kam, Nicht-Saleem bleiben würde, der, auch wenn er weglief, immer noch von seiner Vergangenheit getrennt
war; obwohl er in seiner Hand, als wäre er daran festgeklebt, einen gewissen silbernen Spucknapf hielt.
     
    Der Dschungel schloss sich hinter ihnen wie eine Gruft, und nach Stunden zunehmend beschwerlicheren, aber auch hektischeren Ruderns durch unbegreiflich labyrinthische Salzwasserkanäle, überragt von Baumgewölben, so hoch wie Kathedralen, hatten Ayooba Shaheed Farooq sich hoffnungslos verirrt; immer wieder wandten sie sich an den Buddha, der zeigte: «Da lang», und dann: «Dort hinunter», aber obwohl sie fieberhaft ruderten, ohne auf ihre Müdigkeit Rücksicht zu nehmen, sah es so aus, als wich die Möglichkeit, diesen Ort je wieder zu verlassen, vor ihnen zurück wie die Laterne eines Geistes, bis sie schließlich ihren angeblich unfehlbaren Spürhund anfuhren und in seinen wie gewöhnlich milchig blauen Augen vielleicht ein kleines Licht der Beschämung oder der Erleichterung leuchten sahen; und nun flüsterte Farooq in der Grabesgrünheit des Waldes: «Du weißt es nicht. Du sagst bloß irgendwas.» Der Buddha schwieg, doch in seinem Schweigen lasen sie ihr Schicksal, und nun, da er überzeugt war, dass der Dschungel sie verschlungen hatte, so wie eine Kröte eine Mücke verschlingt, nun, da er sicher war, dass er nie wieder die Sonne sehen würde, brach Ayooba Baloch, Ayooba-der-Panzer höchstpersönlich, vollkommen zusammen und weinte wie ein Monsun. Angesichts des widersinnigen Anblicks dieser riesenhaften Gestalt mit Bürstenschnitt, die wie ein Baby plärrte, gerieten auch Farooq und Shaheed außer Rand und Band; sodass Farooq fast das Boot umwarf, als er den Buddha angriff, der all die Faustschläge, die auf seine Brust Schultern Arme herabprasselten, nachsichtig ertrug, bis Shaheed Farooq um der Sicherheit willen auf die Planken zog. Ayooba Baloch weinte ohne Unterlass drei ganze Stunden oder Tage oder Wochen, bis der Regen begann und seine Tränen überflüssig machte; und Shaheed Dar hörte sich sagen: «Jetzt sieh mal, was du

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