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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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und warfen uns Kleingeld in den Schoß; und als die neue Laylah Sinai ohnmächtig wurde, lächelte jeder zufrieden, denn jede anständige Braut sollte bei der
Hochzeit ohnmächtig werden, und niemand erwähnte die peinliche Möglichkeit, dass sie vielleicht umgekippt sein könnte, weil ihr übel war oder weil das Kind in ihrem Bauch sich so heftig bewegte. An diesem Abend führten die Magier eine so wunderbare Darbietung vor, dass sich das Gerücht in der ganzen Altstadt verbreitete und sich Massen von Zuschauern versammelten, moslemische Geschäftsmänner aus einer nahe gelegenen Muhalla, wo einst eine öffentliche Ankündigung gemacht worden war, und Silberschmiede und Milchshakeverkäufer vom Chandni Chowk, abendliche Spaziergänger und japanische Touristen, die (bei dieser Gelegenheit) aus Höflichkeit alle einen Mundschutz trugen, um uns nicht beim Ausatmen mit ihren Bazillen zu infizieren; rosahäutige Europäer diskutierten Kameraobjektive mit den Japanern, Verschlüsse klickten und Blitzlichter knallten, und einer der Touristen erzählte mir, dass Indien ja wirklich ein wahrhaft wunderbares Land mit vielen bemerkenswerten Traditionen sei, und alles wäre schön und vollkommen, wenn man nicht ständig indisches Essen essen müsste. Und beim Valima, der Zeremonie der Vollziehung (bei der diesmal keine blutbefleckten Laken hochgehalten wurden, weder mit noch ohne Loch, da ich meine Hochzeitsnacht mit fest geschlossenen Augen und abgewandt von meiner Frau verbracht hatte, damit mich in der Verwirrung des Dunkels nicht die unerträglichen Züge Jamilas der Sängerin heimsuchten), übertrafen die Magier noch ihre Leistungen vom Hochzeitsabend.
    Aber als die ganze Aufregung sich gelegt hatte, hörte ich (mit einem guten und mit einem schlechten Ohr), wie sich das unerbittliche Geräusch der Zukunft an uns heranschlich: tick, tack, lauter und lauter, bis die Geburt Saleem Sinais – und auch die des Vaters des Kindes – in den Ereignissen der Nacht vom 25. Juni einen Spiegel fand.
     
    Während geheimnisumwitterte Meuchelmörder Regierungsbeamte umbrachten und es um ein Haar geschafft hätten, den von Frau
Gandhi persönlich ausgewählten Gerichtspräsidenten, A. N. Ray, aus dem Weg zu räumen, konzentrierten sich die Magier des Gettos auf ein anderes Geheimnis: den schwellenden Korb von Parvati-der-Hexe.
    Während sich der Janata Morcha in alle möglichen bizarren Richtungen ausdehnte, bis er maoistische Kommunisten (beispielsweise Schlangenmenschen, einschließlich der gummigliedrigen Drillinge, mit denen Parvati vor unserer Ehe zusammengewohnt hatte – nach der Trauung waren wir in eine eigene Hütte gezogen, die das Getto als Hochzeitsgeschenk für uns an der Stelle errichtet hatte, wo vorher Reshams Baracke stand) und extrem rechtslastige Mitglieder der Ananda Marg umfing; bis sich ihm Linkssozialisten und konservative Swatantra-Anhänger anschlossen ... während die Volksfront sich so grotesk ausdehnte, fragte ich, Saleem, mich unablässig, was wohl hinter der sich ausdehnenden Front meiner Frau wuchs.
    Während die öffentliche Unzufriedenheit mit dem Indira-Kongress die Regierung wie eine Fliege zu zerquetschen drohte, saß die nagelneue Laylah Sinai, deren Augen größer denn je geworden waren, regungslos da wie ein Stein, während das Gewicht des Kindes zunahm, bis es ihre Knochen zu Staub zu zermalmen drohte; und Picture Singh wiederholte in aller Unschuld eine alte Bemerkung, als er sagte: «He, Hauptmann! Es wird ganz schön groß, bestimmt ein richtiger Zehn-Chip-Mordskerl.»
    Und dann kam der 12. Juni.
    Geschichtsbücher Zeitungen Rundfunkprogramme berichten, dass am 12. Juni um zwei Uhr nachmittags Richter Jag Mohan Lal Sinha vom Hohen Gericht in Allahabad Ministerpräsidentin Indira Gandhi in zwei Fällen des Amtsmissbrauchs während des Wahlkampfs im Jahre 1971 für schuldig befand; noch nie zuvor wurde jedoch offenbart, dass es auch genau zwei Uhr nachmittags war, als Parvati-die-Hexe (nun Laylah Sinai) sich sicher war, dass die Wehen eingesetzt hatten.
    Parvati-Laylahs Wehen dauerten dreizehn Tage. Am ersten Tag,
als die Ministerpräsidentin sich weigerte zurückzutreten, obwohl die Staatsanwaltschaft bestimmt hatte, dass sie sechs Jahre lang von jedem öffentlichen Amt ausgeschlossen wurde, weigerte sich der Gebärmutterhals von Parvati-der-Hexe trotz Krämpfen, die schmerzhaft waren wie Eselstritte, hartnäckig, weiter zu werden; Saleem Sinai und Picture Singh, von den Schlangendrillingen,

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