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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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die die Pflichten einer Hebamme übernommen hatten, aus der Hütte ihrer Qual verbannt, mussten ihren nutzlosen Schreien zuhören, bis ein ständiger Strom von Feuerschluckern Falschspielern Fakiren vorbeikam, ihnen auf den Rücken klopfte und dreckige Witze riss; und nur meine Ohren konnten das Ticken vernehmen ... ein Countdown, der weiß Gott zu was führte ... bis ich von Furcht ergriffen wurde und zu Picture Singh sagte: «Ich weiß nicht, was aus ihr rauskommen wird, aber es ist bestimmt nichts Gutes ...» Und Pictureji sprach aufmunternd: «Mach dir keine Sorgen, Hauptmann! Es wird alles gut! Ein Zehn-Chip-Mordskerl, ich schwör’ es!» Und Parvati schrie und schrie, und die Nacht wurde zum Tag, und am zweiten Tag, als Frau Gandhis Wahlkandidaten in Gujarat vom Janata Morcha vernichtend geschlagen wurden, war meine Parvati von so starken Schmerzen gepeinigt, dass sie starr wie Stahl wurde, und ich weigerte mich zu essen, bis das Kind geboren oder das geschehen war, was geschehen sollte. Ich saß mit untergeschlagenen Beinen vor der Heimstatt ihres Leidens, zitterte in der Hitze vor Entsetzen und bat inständig, lass sie nicht sterben lass sie nicht sterben, obwohl ich in all den Monaten unserer Ehe nie mit ihr geschlafen hatte; trotz meiner Furcht vor der Erscheinung Jamilas der Sängerin betete und fastete ich, trotz Picture Singhs «Um Himmels willen, Hauptmann» wies ich alles zurück, und am neunten Tag trat eine schreckliche Stille im Getto ein, eine Stille, die so absolut war, dass noch nicht einmal die Rufe des Muezzins sie durchdringen konnten, eine Geräuschlosigkeit, die so ungeheuer war, dass sie das Tosen der Janata-Morcha-Demonstrationen vor dem Rashtrapati Bhavan, der Residenz des Präsidenten, ausschloss, eine von panischem
Entsetzen erfüllte Stille, ebenso schrecklich, alles umhüllend, magisch wie das große Schweigen, das einst über dem Haus meiner Großeltern in Agra gehangen hatte, sodass wir am neunten Tag nicht hören konnten, wie Morarji Desai Präsident Ahmad aufforderte, die entehrte Ministerpräsidentin zu entlassen; und das einzige Geräusch auf der ganzen Welt war das klägliche Wimmern von Parvati-Laylah, als die Wehen sich wie Berge über ihr türmten und es klang, als riefe sie nach uns durch einen langen Tunnel aus Schmerz, während ich mit untergeschlagenen Beinen und dem geräuschlosen Klang des Ticktacks in meinem Gehirn dasaß und ihre Qual mich zerriss. Und in der Hütte gossen die Schlangendrillinge Wasser über Parvatis Körper, um die Feuchtigkeit zu ersetzen, die aus ihr herausschoss, und zwängten ihr einen Stock zwischen die Zähne, um sie davon abzuhalten, sich die Zunge abzubeißen, und versuchten ihr mit Gewalt die Lider über die Augen zu ziehen, die so erschreckend hervorquollen, dass die Drillinge fürchteten, sie würden herausfallen und auf dem Boden beschmutzt werden. Und dann kam der zwölfte Tag, und ich war halb tot vor Hunger, während anderswo in der Stadt der Oberste Gerichtshof Frau Gandhi davon unterrichtete, dass sie bis zum Berufungsurteil nicht zurücktreten müsse, aber weder in der Lok Sabha abstimmen noch ein Gehalt beziehen dürfe, und während die Ministerpräsidentin über diesen Teilsieg frohlockte und ihre Gegner in einer Sprache zu beschimpfen begann, auf die ein Koli-Fischweib stolz gewesen wäre, traten die Wehen meiner Parvati in eine Phase, in der sie trotz äußerster Erschöpfung die Kraft fand, eine Reihe übel riechender Flüche auszustoßen, die von Lippen kamen, aus denen jegliche Farbe gewichen war, sodass der Jauchegestank ihrer Obszönitäten uns in die Nasen stieg und es uns in der Kehle würgte, und die drei Schlangenmenschen flohen aus der Hütte und schrien, sie sei so ausgeleiert, so farblos geworden, dass man beinahe durch sie hindurchsehen könne, und dass sie bestimmt sterben werde, wenn das Kind jetzt nicht komme, und in meinen Ohren klopfte das Ticktack, das pochende Ticktack, bis ich
sicher war, ja, bald bald bald. Und als die Drillinge am Abend des dreizehnten Tages zu ihrem Lager zurückkehrten, kreischten sie ja ja, sie hat angefangen zu pressen, komm, Parvati, press es raus press es raus, und während Parvati im Getto presste, übten J. P. Narayan und Morarji Desai Druck auf Indira Gandhi aus, während Drillinge schrien, press es raus press es raus, drängten die Führer des Janata Morcha Polizei und Armee, den ungesetzlichen Befehlen der amtsenthobenen Ministerpräsidentin nicht zu gehorchen, in gewissem

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