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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Schubsern endlich an den Punkt gebracht, an dem sie beinahe für meinen Eintritt bereit war. Es gab Geheimnisse, die nicht aufgeklärt werden konnten, bis ich auf der Bildfläche erschien ... zum Beispiel das Geheimnis von Shri Ramrams dunkelster Bemerkung: «Es wird eine Nase und Knie geben, Knie und eine Nase.»
     
    Das Versicherungsgeld kam; der Januar ging vorbei; und in der Zeit, die vonnöten war, um alle Angelegenheiten in Delhi abzuwickeln und in die Stadt zu ziehen, in der – wie Dr. Narlikar, der Gynäkologe, wusste – Grundbesitz vorübergehend spottbillig war, konzentrierte meine Mutter sich auf ihr in Abschnitte unterteiltes Programm, dem gemäß sie ihren Mann lieben lernen wollte. Es gelang ihr, eine tiefe Zuneigung für die Fragezeichen seiner Ohren zu empfinden; für die bemerkenswerte Tiefe seines Nabels, in den ihr Finger sogar ohne zu drücken bis über das erste Glied hinaus eindringen konnte; mit der Zeit liebte sie seine höckrigen Knie; aber sosehr sie es auch versuchte (und da ich sie im Zweifelsfall für unschuldig erklären möchte, biete ich hier keine möglichen Gründe dafür an), einen bestimmten Teil von ihm zu lieben, gelang es ihr nie, obwohl es das Einzige war, was bei ihm voll funktionierte, und das, woran es Nadir Khan mit Sicherheit gemangelt hatte; in jenen Nächten, in denen er sich auf sie hievte – das Kind in ihrem Leib war noch nicht größer als ein Frosch –, hatte es einfach keinen Zweck.
    ...«Nein, nicht so schnell, Janum, mein Leben, ein bisschen länger, bitte», sagt sie, und Ahmed versucht, um die Sache etwas hinauszuzögern, an das Feuer zurückzudenken, an das Letzte, was an jenem hell glühenden Abend geschah. Als er sich nämlich umdrehte, um zu gehen, hörte er am Himmel ein gemeines Kreischen und hatte, als er aufsah, gerade noch Zeit, zu registrieren, dass ein Geier – nachts! – von den Türmen des Schweigens über ihm herflog und eine kaum angeknabberte Parsenhand fallen ließ, eine rechte Hand, dieselbe Hand, die ihn – nun! – voll ins Gesicht schlug, als sie niederfiel. Während Amina unter ihm im Bett sich selbst schilt: Warum kannst du es denn nicht genießen, du dumme Frau, von jetzt an musst du es aber wirklich versuchen.
    Am 4. Juni fuhren meine schlecht zusammenpassenden Eltern mit dem Grenzzug nach Bombay. (Es wurde gepoltert, Stimmen hielten sich fest, als ging’s ums liebe Leben, Fäuste schrien auf. «Maharadsch! Machen Sie auf, einen Moment bloß! Ohé, um der Milch Ihrer Güte willen, hoher Herr, seien Sie uns gewogen!» Und auch – in einem grünen Blechkoffer unter der Mitgift verborgen – ein verbotener, mit Lapislazuli eingelegter, fein geschmiedeter Spucknapf war da.) Am selben Tag hielt Earl Mountbatten von Birma eine Pressekonferenz ab, in der er die Teilung Indiens verkündete und seinen Countdown-Kalender an die Wand hängte: siebzig Tage bis zum Machtwechsel ... neunundsechzig ... achtundsechzig ... ticktack.

Methwold
    Die Fischer waren zuerst hier. Vor Mountbattens Ticktack und vor Ungeheuern und öffentlichen Ankündigungen; als unterirdische Ehen noch undenkbar und Spucknäpfe unbekannt waren; früher als Jod; lange vor Ringerinnen, die Laken mit einem Loch hochhielten; und weit, weit zurück noch vor Dalhousie und Elphinstone, bevor die Ostindische Kompanie ihr Fort baute, vor dem ersten William Methwold; bei Anbruch der Zeit, als Bombay eine hantelförmige Insel war, die sich in der Mitte zu einem schmalen glänzenden Strand verjüngte, hinter dem der schönste und größte natürliche Hafen Asiens zu sehen war, als auch Mazagaon und Worli, Matunga und Mahim, Salsette und Colaba noch Inseln waren – kurzum, vor der Landgewinnung, bevor Tetrapoden und versenkte Pfeiler die Sieben Inseln in eine Halbinsel verwandelten, die wie eine ausgestreckte, greifende Hand nach Westen ins Arabische Meer reichte; in dieser Urzeit vor Uhrtürmen segelten die Fischer – die Kolis genannt wurden – in arabischen Dhaus und setzten rote Segel gegen die untergehende Sonne. Sie fingen Pomfrets und Krebse und machten uns alle zu Fischliebhabern. (Oder die meisten von uns. Padma hat sich ihren Fischzaubereien ergeben, aber in unserem Haus waren wir mit der Fremdartigkeit des kaschmirischen Blutes, mit der eisigen Zurückhaltung des kaschmirischen Himmels infiziert und blieben allesamt Fleischesser.)
    Es gab auch Kokosnüsse und Reis. Und über allem der huldvoll herrschende Einfluss der Göttin Mumbadevi, deren

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