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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Sexualität sich bewegten. Wie Seiltänzer. (Aber trotz alledem bin selbst ich, der ihn nie sah, nie einen Blick auf matt schimmernde Zähne oder phantastisch gekämmtes Haar warf, nicht fähig, ihm zu grollen.)
    Und seine Nase? Wie sah die aus? Herausragend? Ja, sie muss es gewesen sein, das Erbe einer aristokratischen französischen Großmutter  – aus Bergerac! –, deren Blut aquamarinblau in seinen Adern rann und seinen höflichen Charme mit etwas Grausamerem, einer süßen mörderischen Schattierung von Absinth verdüsterte.
    Methwold’s Estate wurde unter zwei Bedingungen verkauft: dass die Häuser komplett, mit allem, was sich darin befand, gekauft würden, dass der gesamte Inhalt von den neuen Eigentümern behalten würde und dass die tatsächliche Übergabe nicht vor dem 15. August um Mitternacht stattfinden sollte.
    «Alles?», fragte Amina Sinai. «Ich darf noch nicht einmal einen Löffel wegwerfen? Allah, dieser Lampenschirm ... Ich kann nicht einen einzigen Kamin loswerden?»
    «Mit allem Drum und Dran», sagte Methwold. «Das sind meine Bedingungen. Eine Laune, Mr. Sinai ... Sie erlauben einem Abschied nehmenden Kolonialisten sein kleines Spiel? Uns bleibt nicht mehr viel übrig, uns Briten, als unsere Spiele zu spielen.»
    «Hör zu, jetzt hör zu, Amina», sagt Ahmed später, «willst du ewig in diesem Hotelzimmer bleiben? Es ist ein phantastischer Preis, absolut phantastisch. Und was kann er machen, nachdem er die Urkunden übertragen hat? Dann kannst du jeden Lampenschirm hinauswerfen, den du willst. Es sind nicht einmal mehr zwei Monate ...»
    «Nehmen Sie einen Cocktail im Garten?», fragt Methwold. «Um sechs Uhr jeden Abend. Cocktailstunde. Fester Brauch seit zwanzig Jahren.»
    «Aber mein Gott, die Farbe ... und die Schränke sind voller alter Kleider, Janum ... wir müssen aus Koffern leben; es gibt nirgendwo Platz, um auch nur einen einzigen Anzug aufzuhängen!»
    «Unangenehme Geschichte, Mr. Sinai.» Methwold schlürft seinen Scotch zwischen Kakteen und Rosen. «Habe so etwas noch nie erlebt. Jahrhundertelang anständige Regierung, dann plötzlich heißt’s auf und davon. Sie werden zugeben, so übel waren wir nicht: haben Ihre Straßen gebaut. Schulen, Eisenbahnen, parlamentarisches System, alles lohnende Dinge. Das Tadsch Mahal fiel auseinander, bis ein Engländer es auf sich nahm, sich darum zu kümmern. Und nun plötzlich Unabhängigkeit. Siebzig Tage, um abzuhauen. Ich selbst bin restlos dagegen, aber was soll man machen?»
    «... Und sieh dir die Flecken auf dem Teppich an, Janum; zwei Monate müssen wir wie diese Britischen leben? Hast du in die Badezimmer geschaut? Kein Wasser in der Nähe vom Topf. Ich hab’ es nie geglaubt, aber es ist wahr, mein Gott, sie wischen sich ihren Hintern nur mit Papier ab ...!»
    «Sagen Sie, Mr. Methwold», Ahmed Sinais Stimme hat sich verändert; in der Gegenwart eines Engländers ist sie zu einer scheußlichen Nachahmung der gedehnten Oxforder Sprechweise geworden, «warum bestehen Sie auf der Verzögerung? Ein schneller Verkauf ist schließlich das beste Geschäft. Lassen Sie uns die Sache zu einem befriedigenden Abschluss bringen.»
    «... Und überall Bilder von alten Engländerinnen, Baba! Kein
Platz, um das Foto meines eigenen Vaters an die Wand zu hängen! »
    «Es scheint, Mr. Sinai», Mr. Methwold füllt die Gläser neu, während die Sonne hinter dem Breach-Candy-Schwimmbad im Arabischen Meer versinkt, «dass unter diesem steifen englischen Äußeren eine äußerst indische Begierde nach Allegorie schlummert.»
    «Und so viel trinken, Janum ... das ist nicht gut.»
    «Ich bin mir nicht sicher – Mr. Methwold, äh –, was genau Sie meinen mit ...»
    «... Oh, wissen Sie, auf gewisse Weise übertrage auch ich Macht. Es hat mich irgendwie gereizt, es zur selben Zeit zu tun wie der Raj. Wie gesagt: ein Spiel. Sie tun mir den Gefallen, nicht wahr, Sinai? Letzten Endes ist der Preis, wie Sie zugegeben haben, nicht schlecht.»
    «Ist er vollkommen übergeschnappt, Janum? Was meinst du: Ist es denn sicher, Abschlüsse mit ihm zu machen, wenn er nicht richtig tickt?»
    «Jetzt hör zu, Frau», sagt Ahmed Sinai, «jetzt reicht es. Mr. Methwold ist ein feiner Mann, ein gebildeter Mann, ein ehrenwerter Mann. Ich dulde nicht, dass sein Name ... Und außerdem machen die anderen Käufer deswegen sicherlich nicht so ein Geschrei ... Im Übrigen habe ich ihm zugesagt, also Schluss damit.»
    «Nehmen Sie einen Cracker», sagt Mr. Methwold

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