Mitternachtskinder: Roman (German Edition)
Aber folgen Sie Colaba Causeway bis zur Spitze – an billigen Kleidergeschäften und iranischen Restaurants und den zweitklassigen Apartments von Lehrern, Journalisten und Angestellten vorbei –, und Sie finden sie zwischen dem Flottenstützpunkt und dem Meer eingeklemmt. Und manchmal drängeln sich Koli-Frauen, deren Hände nach Innereien vom Pomfret und nach Krebsfleisch stinken, in ihren karmesin- oder purpurroten Saris, die sie frech zwischen den Beinen hochgezurrt haben, arrogant an die Spitze einer Schlange, die auf den Colaba-Bus wartet, und in ihren vorstehenden und leicht fischigen Augen steht ein schmerzlicher Schimmer alter Niederlagen und Enteignungen. Ein Fort und danach eine Stadt nahmen ihnen ihr Land; Rammen (gefolgt von Tetrapoden) stahlen ihnen Stücke vom Meer. Aber immer noch gibt es arabische Dhaus, die jeden Abend ihr Segel gegen den Sonnenuntergang setzen ... im August 1947 waren die Briten, die die Herrschaft der Fischernetze, der Kokosnüsse, des Reises und Mumbadevis beendet hatten, selbst dabei, Abschied zu nehmen; keine Herrschaft dauert ewig.
Und am 19. Juni, zwei Wochen nach ihrer Ankunft mit dem Grenzzug, ließen meine Eltern sich auf einen seltsamen Handel mit einem solchen Abschied nehmenden Engländer ein. Sein Name war William Methwold.
Die Straße zu Methwold’s Estate (wir betreten nun mein Königreich, kommen ins Innerste meiner Kindheit; ich habe einen kleinen Kloß im Hals) zweigt zwischen einer Bushaltestelle und einer kleinen Ladenzeile von der Warden Road ab. Chimalkers Spielzeughandlung;
Das Paradies des Lesers; das Chimanbhoy-Fatbhoy-Juweliergeschäft; und vor allem Bombelli der Zuckerbäcker mit seinem Marquiskuchen und seiner «Ein-Meter-Schokolade»! Namen, mit denen man zaubern kann; aber dazu ist jetzt nicht die Zeit. An dem salutierenden Pappkartonpagen der Tip-Top-Reinigung vorbei führt die Straße uns nach Hause. In jenen Tagen war an den rosa Wolkenkratzer der Narlikar-Frauen (scheußliche Nachahmung des Sendemastes in Srinagar) noch nicht einmal gedacht worden; die Straße führte einen kleinen Hügel hinauf, nicht höher als ein zweistöckiges Gebäude; sie machte eine Kurve, um das Meer zu sehen, um hinunter auf den Schwimmclub von Breach Candy zu blicken, wo rosa Menschen in einem Becken von der Form Britisch-Indiens schwimmen konnten, ohne Gefahr zu laufen, sich an einer schwarzen Haut zu reiben; und da, edel um ein kleines Rondell arrangiert, waren die Paläste William Methwolds, an denen Schilder hingen, die – dank meiner – viele Jahre später wieder auftauchen sollten, Schilder, die zwei Wörter trugen, nur zwei, die meine nichts ahnenden Eltern aber zu Methwolds eigenartigem Spiel verlockten: ZU VERKAUFEN.
Methwold’s Estate: vier identische Häuser, in einem Stil erbaut, der zu ihren ursprünglichen Bewohnern passte (Häuser von Eroberern! römische Herrenhäuser; dreistöckige Götterstätten, die auf einem zweistöckigen Olymp, einem verkümmerten Kailash, standen!) – große, stabile Herrenhäuser mit roten Dachgiebeln und Erkertürmchen an jeder Ecke, elfenbeinweißen Ecktürmen, die mit roten Ziegeln gedeckte Hüte trugen (Türme, in die man Prinzessinnen einschließen konnte!) – Häuser mit Veranden, mit Dienstbotenunterkünften, die man über eine hinter dem Haus versteckte eiserne Wendeltreppe erreichte – Häuser, die ihr Eigentümer, William Methwold, majestätisch nach den Palästen Europas benannt hatte: Versailles Villa, Buckingham Villa, Escorial Villa und Sans Souci. Bougainvillea überwucherte sie; Goldfische schwammen in blassblauen Teichen; Kakteen wuchsen in Steingärten; winziges
Springkraut kauerte unter Tamarinden; es gab Schmetterlinge und Rosen und Rohrstühle auf dem Rasen. Und an jenem Tag Mitte Juni verkaufte Mr. Methwold seine leeren Paläste für lächerlich wenig – aber es gab Bedingungen. Ich präsentiere ihn Ihnen also ohne weitere Umstände, komplett mit Mittelscheitel ... ein Titan von ein Meter achtzig, dieser Methwold, dessen Gesicht das Rosa von Rosen und ewiger Jugend hatte. Er hatte volles, dickes, schwarzes, pomadisiertes Haar, das in der Mitte gescheitelt war. Wir werden noch zu sprechen haben von diesem Mittelscheitel, dessen linealgerade Genauigkeit Methwold für Frauen unwiderstehlich machte, die den Drang verspürten, ihn zu zerzausen ... Methwolds in der Mitte gescheiteltes Haar hat viel mit meinen Anfängen zu tun. Es war eine jener Haarlinien, an denen entlang Geschichte und
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