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Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Mitternachtskinder: Roman (German Edition)

Titel: Mitternachtskinder: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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Name – Mumbadevi, Mumbabai, Mumbai – möglicherweise zum Namen der Stadt wurde. Aber dann nannten die Portugiesen den Ort Bom Bahia, wegen seines Hafens und nicht nach der Göttin der Pomfretleute ...
die Portugiesen waren die ersten Invasoren und benutzten den Hafen, um ihren Handelsschiffen und ihren Kriegern Schutz zu gewähren; aber dann hatte im Jahre 1633 ein Angestellter der Ostindischen Kompanie namens Methwold eines Tages eine Vision. Diese Vision – ein Traum von einem befestigten britischen Bombay, das Indiens Westen gegen alle Neuankömmlinge verteidigen sollte – war eine solch kraftvolle Eingebung, dass sie die Zeit in Bewegung setzte. Die Geschichte drehte sich weiter; Methwold starb; und 1660 wurde Karl II. von England mit Katharina aus dem portugiesischen Haus Braganza vermählt – jener Katharina, die ihr ganzes Leben lang neben der Apfelsinen verkaufenden Nell die zweite Geige spielen sollte. Aber sie hat einen Trost – ihre Mitgift brachte Bombay, vielleicht in einem grünen Blechkoffer, in britische Hand und brachte Methwolds Vision der Wirklichkeit einen Schritt näher. Danach dauerte es nicht mehr lange bis zum 21. September 1668, als die Kompanie endlich ihre Hand auf die Insel legen konnte ... und schon legten sie los mit ihrem Fort und der Landgewinnung, und ehe man sich’s versah, war eine Stadt da, Bombay, von der die alte Weise sang:
    Prima in Indis
Tor zu Indien
Stern des Ostens
Mit dem Gesicht nach Westen
    Unser Bombay, Padma! Damals sah es noch ganz anders aus, es gab keine Nachtclubs oder Picklesfabriken oder Oberoi-Sheraton-Hotels oder Filmstudios, doch die Stadt wuchs mit halsbrecherischer Geschwindigkeit, legte sich eine Kathedrale und eine Reiterstatue des Mahratten-Kriegerkönigs Sivaji zu, die (so glaubten wir früher) nachts zum Leben erwachte und Furcht einflößend durch die Straßen der Stadt galoppierte – direkt am Marine Drive entlang! Über Chowpatty Sands! An den vornehmen Häusern auf dem Malabar
Hill vorbei, um Kemp’s Corner, Schwindel erregend am Meer vorbei bis nach Scandal Point! Und ja, warum nicht, weiter und weiter, sogar meine Straße, die Warden Road, hinunter, direkt an dem Schwimmbad für Weiße von Breach Candy vorbei, bis hoch zu dem riesigen Mahalaxmi-Tempel und dem alten Willingdon Club ... Während meiner ganzen Kindheit berichtete jedes Mal, wenn Bombay schlimme Zeiten bevorstanden, irgendein schlafloser nächtlicher Spaziergänger, dass er gesehen habe, wie die Statue sich bewege; in der Stadt meiner Jugend tanzten Katastrophen zur übersinnlichen Musik der grauen Steinhufe eines Pferdes.
    Und wo sind sie nun, die ersten Bewohner? Die Kokosnüsse haben am besten von allen abgeschnitten. Kokosnüsse werden immer noch täglich am Strand von Chowpatty geköpft, während am Juhastrand kleine Jungen unter den schmachtenden Blicken von Filmstars im Sun’n’Sand Hotel immer noch die Kokospalmen erklimmen und die zottige Frucht herunterholen. Kokosnüsse haben sogar ihr eigenes Fest, den Kokosnusstag, der wenige Tage vor meiner synchronistischen Geburt gefeiert wurde. Wegen der Kokosnüsse können Sie beruhigt sein. Der Reis hat nicht so viel Glück gehabt; Reisfelder liegen nun unter Beton; Mietskasernen erheben sich, wo einst im Angesicht der See Reis wogte. Aber trotzdem sind wir in der Stadt große Reisesser. Patnareis, Kaschmirreis, Basmati wird täglich in die Metropole transportiert; so hat uns allen der ursprüngliche, der Urreis seinen Stempel aufgedrückt, und man kann nicht sagen, er sei umsonst gestorben. Was Mumbadevi betrifft  – sie ist heute nicht mehr so beliebt, weil sie in der Gunst des Volkes durch den elefantenköpfigen Ganesch ersetzt wurde. Der Festkalender offenbart ihren Abstieg: Ganesch –«Ganpati Baba» – hat seinen Tag, Ganesch Chaturthi, an dem große Prozessionen nach Chowpatty ziehen, wobei sie Gipsnachbildungen des Gottes tragen, die sie dann ins Meer schleudern. Ganeschs Tag ist ein Fest, das Regen machen soll, es macht den Monsun möglich, und auch dies Fest wurde in den Tagen vor meiner Ankunft am
Ende des Ticktack-Countdowns gefeiert – aber wo ist Mumbadevis Tag? Er steht nicht im Kalender. Wo sind die Gebete der Pomfretleute, die Rituale der Krebsfänger? ... Von allen Urbewohnern sind die Koli-Fischer am schlechtesten weggekommen. Nun in einem winzigen Dorf im Daumen der handförmigen Halbinsel zusammengedrängt, haben sie zugegebenermaßen ihren Namen einem Bezirk gegeben – Colaba.

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