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Mitternachtskinder

Mitternachtskinder

Titel: Mitternachtskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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mir gesagt hast.«
    Sie nahm mir den Popcornbecher ab und stellte ihn auf den Sitz neben sich. »Nicht zu fassen, dass ich dir Popcorn gekauft habe. Ich sollte dich zwingen, Popcornbutter aus dem Automaten zu trinken – zur Strafe dafür, dass du dich über meinen Künstlernamen lustig gemacht hast.«
    Ich grinste sie an. »Wahrlich, ein Schicksal schlimmer als der Tod.« Ich dachte daran, was sie über den Film gesagt hatte: dass sie so tausend Leben leben könnte, ohne ihr eigenes zu verlassen. Tausend
menschliche
Leben. Das schien mir ein bedeutender Unterschied zu sein. »Aber, weißt du, sechzehn Jahre sind ganz schön lang. Du hättest Regisseurin werden können.«
    Nuala drehte sich im Sessel zu mir herum, kniff die Brauen zusammen und sagte laut über die spannungsvolle Musik der letzten Szenen hinweg: »Jetzt mal im Ernst, bist du wirklich so bescheuert? Das kann doch nicht so schwer zu begreifen sein.«
    Leute, die für alles eine Ausrede fanden, machten mich immer wütend. »Warum, weil du nicht genug Zeit hast? Du hättest es zumindest
versuchen
können. Sechzehn Jahre sind genug, um es zu versuchen.«
    Zwischen zusammengebissenen Zähnen stieß sie ein Zischen hervor und schüttelte den Kopf. »Du bist
tatsächlich
bescheuert, Pfeifer! Weißt du nicht mehr, was an dem Klavier passiert ist? Tja, ich kann auch keine
Wörter
schreiben. Wenn ich mir während der Dreharbeiten irgendetwas Neues einfallen lassen müsste, würde … es würde … würde einfach nichts passieren.«
    »Schwierig. Aber nicht unmöglich«, behauptete ich.
    Ganz leicht kniff sie die Augen zusammen. »Also gut. Und was passiert, wenn sich zwischen zwei Filmen mein Aussehen verändert?«
    Ich grinste sie schief an. »Madonna hat das während ihrer gesamten Karriere so gemacht.«
    Nuala hob die Hände und ballte sie, als stellte sie sich vor, sie um meinen Hals zu legen und zuzudrücken. »Ja. Schon gut. Okay, was ist damit? Ich bin wie alle Feen: Ich muss da hingehen, wo das Kleeauge mich hinführt. Was passiert also, wenn ich mich irgendwo niedergelassen habe, und das Kleeauge beschließt plötzlich, quer durch die Staaten umzuziehen? Kapierst du es wirklich nicht? Ich kann überhaupt kein normales Leben haben, von einer richtigen Karriere ganz zu schweigen. Das hat nichts damit zu tun, ob man es versucht oder nicht.«
    Ich hörte die unterschwellige Botschaft: gerade menschlich genug, um sich als Fee jämmerlich zu fühlen, und gerade Fee genug, um alles zu verderben, was am Menschsein gut sein könnte. Aber ich sagte nur: »Das mit dem Kleeauge verstehe ich nicht.«
    Nuala wedelte mit der Hand in Richtung Leinwand, ohne hinzuschauen. Die Wand wurde schwarz, und augenblicklich saßen wir in völliger Dunkelheit. Nach ein paar Sekunden gewöhnten meine Augen sich an die stark gedämpften Lichtschienen, die die Gänge markierten. Trotzdem konnte ich nicht viel mehr erkennen als Nualas riesige blaue Augen vor mir. Und obwohl sonst nichts von ihrem Gesichtsausdruck sichtbar war, bemerkte ich den ungläubigen Ausdruck darin.
    »Deine Nicht-Freundin? Ich habe keine zwei Sekunden gebraucht, um dahinterzukommen. Wie kannst du alles über die Feen wissen und alles über sie, aber nicht, was ein Kleeauge ist?«
    Als sie Dee erwähnte, fühlte es sich wie ein schweres Gewicht in meinem Magen an. Ich wollte nicht mehr hier sein und in einem klebrigen Kinosessel sitzen. Ich wollte aufstehen, hin und her laufen, mich bewegen. Ich wollte die Fäuste in eine Wand rammen.
    Nualas Blick fiel auf meine Hände, als stellte auch sie sich vor, wie sie eine Wand durchschlugen. »Die letzte Königin war ein Kleeauge. Sie ist tot. Und jetzt ist deine Möchtegernfreundin da, und sie ist das stärkste Kleeauge. Also sind auch wir hier.«
    »Hör auf, sie so zu nennen.«
    Ein Grinsen trat in ihre Augen, und sie verstand mich absichtlich falsch. »So nennt man sie eben. Leute, die die Feen anziehen. Wir müssen in ihrer Nähe bleiben. Wo immer sie sich aufhalten, ist das Feenreich.«
    Ich erinnerte mich daran, was Dee gesagt hatte, als wir einander zum ersten Mal an dieser Schule begegnet waren.
Hast du sie gesehen? Die Feen?
    Ich hatte es satt, im Dunkeln etwas erkennen zu wollen, hatte es satt, die Augen offen zu halten, also schloss ich sie und legte die Stirn auf die Fäuste. »Sie wird
sie
also immer um sich haben.« Ich wusste nicht, ob Dee stark genug dafür war.
    »Bis ein stärkeres Kleeauge erscheint.« Nualas Stimme klang näher als zuvor, doch

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