Mitternachtslöwe (German Edition)
kleinen Muskeln es konnten und gemeinsam quälten sie sich hoch auf das Deck. Mittlerweile hatte das Feuer aus Aquilas Herzen seinen Rücken befallen. Mannshohe Flammen schlugen aus dem Deck.
Sophia setzte Byrger so vorsichtig es beim Schwanken des Adlers möglich war an der Reling ab. Maria kauerte sich fest an sie.
Und jetzt?
Sie hatte keine Antwort auf diese Frage. Der Rest der Familie war zusammengefunden, aber welche Möglichkeit gab es von einem brennenden, von Metall gezeugten Riesenvogel zu entkommen...
Ein gewaltiger Feuerball erschütterte jede von Aquilas stählernen Knochen. Die Schwanzfedern knickten ab. Panisch hielten sich die letzten Federmäntel an Tauen oder durch das Deck geschlagene Metallteile fest. Einige sprangen in unwissender Verzweiflung von Bord.
Und auf einmal waren sie ganz alleine. Das Klappern des Metalls erklang rhythmisch im Wind. Wie im Arm der Mutter schunkelte Aquilas Rücken Sophia in dämmriges Denken.
»Bei allen Adlern am Himmel...« Vitus stapfte über das Deck. »Was habt ihr ihm angetan? Was habt ihr mit Aquila gemacht?« Aus seinem Gesicht quoll der Hass und frass ihn selber auf. »Ich werd euch in den Tod reißen, noch bevor Aquila den letzten Flügelschlag getan hat!«
In diesem Moment tat Aquila genau dies. Das Metall quietschte, Nähte platzten. Auf das Deck spritzte schwarze, fettige Masse, als würde es die Pest vom Himmel regnen. Erst der eine, dann der andere Flügel fing Feuer und brach unter Heidenlärm vom Rumpf. Aquila, stolzer Adler, fiel wie gerupft dem Grund entgegen.
In Todesgier fiel Vitus über Sophia her. Blind vor Hass rutsche er auf dem Schmierfilm aus. Zwischen Sophia und Vitus tat sich ein Riss auf. Aquilas Körper zersprang in zwei Teile und driftete auseinander. Verzagt klammerte sich Sophia an die Reling und hielt dabei auch noch Byrger und Maria fest.
Doch so einfach wollte Vitus es nicht geschehen lassen. Das Feuer seiner Donnerbüchse durchzog die Luft. Schon dem Fall der Erdwölbung entgegen sah Sophia noch ein dumpfes Rauchwölkchen vor Vitus' grinsendem Gesicht aufsteigen, bevor sein fluchrufender Körper von den Trümmern Aquilas mitgerissen wurde.
Sophias Halt verlor sich. Wild umherwirbelnd flogen Wolken unter ihr weg und der Boden raste von oben auf sie zu. Ein weiteres Leben war zu Ende gelebt. Doch dieses mal war es ihr letztes.
Manchmal jedoch ist der Tod gezwungen abzulassen, kommt ihm jemand zuvor. Dann verflucht er jenen der schneller war, dass die verlorenen Seelen es hören können und ein zweites Mal sterben. Zuhauf schieden sie heute dahin.
Immer noch drehte sich alles, aber fallen tat Sophia nicht mehr. Sie schwebte dahin. Vielleicht ist dies schon die andere Seite, dachte sie, doch als sich ihre Augen beruhigten, sah sie auf die stolze Brust eines Vogels. Er hatte den Tod eingeholt und flog galant an ihm vorbei, um sie allesamt sanft in seinen starken Krallen zu tragen. Ironischerweise war es ein Adler, einer aus Fleisch und Blut, einer der großen Lords, der sie auffing. Sah Sophia den Adler doch immer als Zeichen des Übels, hatte sie ganz vergessen mit welchem Anmut sie das Himmelreich berührten.
Doch des einen Leben zu retten kostet dem anderen seins. Und der Knochenmann in schwarzem Tuch verharrte auf die Regeln.
Sophia lachte. »Wir haben es geschafft. Schau nur, der Adler...« Sie strich Maria durch das flatternde Haar. Doch es fühlte sich schlecht an. Ihre Tochter blickte steif und ohne Ziel an ihr vorbei. Sie atmete schwer. Die Wärme von Marias Rücken floss auf Sophias Hand über. Ein dunkler Fleck breitete sich auf dem Kleid des Mädchens aus. Sophia versuchte es zu stillen, doch schnell klebte das Blut überall.
»Mamma«, sprach Maria leise mit einem Lächeln und schloss friedlich die Augen.
Grabesruh
Sophia liebte die Luft an einem verregnetem Frühlingstag. Seit diesem Tag an würde sie es auf immer hassen. Kalt und eisig, wie die Hand die sich auf ihr Herz legte, vermochte auch der Regen den Schmerz nicht fortzuspülen, als sie unter schweren Tränen den zarten Leib ihrer Tochter zur letzten Ruhe bettete.
In Marias goldenem Haar steckte die bunte Feder die sie so liebte. Unter den gefalteten Händen hielt sie die Knochenwürfel mit denen sie so gerne spielte. Ein letztes Mal kreiste der bunte Papierschmetterling an Sophias Hand durch die Luft, bis auch er, als Begleiter in stille Zeiten, seine Flügel für immer schloss. Selbst jetzt schien Maria zu lächeln und Sophia versuchte auch ihr
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