Mitternachtslöwe (German Edition)
und öffneten die Ladeluken. Die Viecher flatterten wie wild los und hoben die alte Hilde vom Riff runter.«
Als ob mehr als nur ein Fass Rum in ihm herum schwappen würde, wackelte Smögs Bauch im Rhythmus seines Lachens auf und ab.
Hört dieser alte Seebär denn nie auf sein Garn zu spinnen?
Abaris trat neben Sophia und schaute auf die Wellen.
»Jetzt schon Heimweh?«, fragte er.
Sophia antwortete nicht.
»Es ist wirklich schade, dass Euer Vater nicht mitgekommen ist. Ich hätte wirklich gerne noch mehr von ihm erfahren. Über die Adulruna, diesen Paracelsus, die Schätze...«
»Byrger wird Euch sicher gerne einiges über die Runen erzählen. Immerhin hat er sie geschaffen. Aber Ihr dürft auch gerne mich fragen. Von klein auf hat mein Vater mich alles gelehrt, was er in den Jahren zusammengetragen hat. Als eine Art Vorbereitung für diese Fahrt wohl.«
»Für ihn ist es mit Sicherheit nicht leicht seine Tochter ins Ungewisse zu schicken.«
Betrübt versuchte Sophia ein letztes Mal das Festland ihrer Heimat zu erblicken, doch die Schiffe aus dem Jenseits versperrten die Sicht.
»Dabei bin ich gar nicht seine leibliche Tochter. Wisst Ihr, meine Eltern haben mich verstoßen. Als ich vier war, setzten sie mich im Wald aus. Sie dachten ich wäre vom Teufel besessen.«
»Wegen Euren Visionen?«, fragte Abaris.
Zaghaft nickte Sophia.
»Es war mein Vater der mich fand und aufnahm. Er gab mir ein neues Zuhause, Wärme, Geborgenheit und Liebe. Etwas was ich zuvor nie erfahren hatte. Er zog mich groß und unterrichtete mich. Obwohl er sehr mit der Entschlüsselung der Runen beschäftigt war, nahm er sich immer viel Zeit für mich. ›Sophia‹, sagte er, ›eines Tages wirst du auf die Reise gehen und Großes vollbringen, den Löwen erwecken‹. Damals fand ich den Gedanken immer sehr spannend.«
Erinnerungen aus der Zeit, als sie noch ein kleines Mädchen war und auf den Straßen Uppsalas spielte, schwirrten Sophia durch den Kopf. Sie lächelte.
»Als Kinder liefen wir durch die Straßen und schrien ›Löwe, du aus Mitternacht, hast den Adler in den Bau gebracht‹. Es war ein Spiel, ein Spass. Doch jetzt wo ich älter bin und die Reise beginnt, sieht alles gar nicht mehr so spassig aus.« Sophia gelang es nicht die Wehmut in ihrer Stimme zu unterdrücken.
»Euer Vater hätte Euch bestimmt nicht losgeschickt wenn er nicht überzeugt davon wäre, dass diese Reise gut ausgehen würde. Ich bin mir sicher, dass er sehr stolz auf Euch ist und an Euch glaubt.«
Gemeinsam betrachteten sie eine Zeit lang wie das Wasser den Kiel umspülte.
»Was ist mit Byrger? Hat er Familie?«, fragte Abaris.
Sophia löste ihren Blick vom Wasser und schaute hinüber zu Byrger, der am Bug stand und Mühe hatte seinen großen Hut festzuhalten. »Er redet nicht gerne darüber. Er hat Familie, doch hat er sie unfreiwillig zurückgelassen, als er in unsere Zeit kam. Es nagt sehr an ihm. Und Ihr, Herr Abaris? Wartet auf Euch jemand?«
Der Südländer hielt inne. »Nein. Da ist niemand.«
Sophia spürte, dass Abaris' Antwort nicht ganz der Wahrheit entsprach, aber anscheint wollte er nicht darüber reden und so vermied sie es weiter nachzufragen. »Was genau wollt Ihr nun wissen?«, fragte Sophia ihn stattdessen.
»Bitte?«
»Ihr wolltet doch mehr in Erfahrung bringen. Die Adulruna, Paracelsus... Also, fragt mich.«
Abaris lachte und kratze sich am Kopf. »Ich... mir fällt gerade nichts ein. Aber ich werde gerne darauf zurückkommen.«
Aus der Ferne hallte ein tiefes Grollen aus den Wolken. Erste Regentropfen vielen vom Himmel. Erst ein paar, dann immer mehr, bis ein Gewirr aus Wasserfäden vom Himmel hinab hing. Der Wind wurde kräftiger und blies das Segel des Einmasters gewaltig auf. Sophia mummelte sich in ihren Umhang ein. Der Kapitän behielt Recht - ein Sturm zog auf.
Mit voller Wucht peitschten die Wellen gegen den Rumpf der Schwarzen Hilde. Der Wind zerrte am Segel und brachte den Mast zum Knarren, als würde er jeden Moment auseinander barsten. Wie ein Blatt auf einem reißendem Bach rissen die Fluten das Schiff mit sich, umringt von Blitzen die vom Himmel zuckten, ihre unzähligen, dürren Finger immer nach dem Schiff greifend. Meterhohe Wellen schlugen auf das Deck nieder, willig jeden mit ins eisige Nass zu reißen. Unentwegt wurden Kommandos über das Deck geschrien, doch verloren sich die Worte im ohrenbetäubenden Kreischen der See. Der Kapitän und sein erster Maat Matte umklammerten fest das Steuerrad.
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