Mitternachtslust
konnte. Hastig senkte sie den Kopf und musterte ihre Zehen, die sich auf dem Fliesenboden hilflos krümmten und wieder ausstreckten.
»Was willst du?«, erkundigte sie sich schließlich in strengem Ton, als er immer noch einfach nur dastand und sie ansah.
»Dich«, flüsterte er so leise, dass seine Stimme fast im Rascheln der Blätter hinter ihm im Park unterging.
Melissa hatte alles Mögliche erwartet. Entschuldigungen und Beschuldigungen, Analysen der Vergangenheit und Versprechungen für die Zukunft. Alles, nur nicht eine so deutliche, klare, vielleicht sogar ehrliche Antwort.
Sie räusperte sich verzweifelt. »So einfach kannst du es dir nicht machen!«
»Die Wahrheit ist manchmal ganz einfach. Als ich dich heute in dem schwarzen Kostüm gesehen habe, wie du mit deinem blassen Gesicht und deinen großen traurigen Augen an seinem Grab gestanden hast – es tat entsetzlich weh, dass ich nicht das Recht hatte, dich in die Arme zu nehmen.«
Melissa schluckte noch immer an dem Kloß, der in ihrem Hals größer und größer zu werden schien. »Du warst da?«, wisperte sie. »Ich habe dich nicht gesehen.«
Nachdem sie all ihre Energie gesammelt hatte, fuhr sie mit lauter, aber zitternder Stimme fort: »Du hast tatsächlich kein Recht dazu, mich zu trösten oder sonst etwas mit mir zu tun.«
Unvermittelt fiel ihr ein, wie sie sich damals, sofort nachdem sie Richards wahren Charakter und seine Untreue entdeckt hatte, vorgenommen hatte, mit kühlem Herzen zu leben. Sie hatte es auch wirklich versucht – und doch bis in ihr tiefstes Inneres die Flammen gespürt, die Alexander in ihr entzündet hatte. Aber dabei hatte es sich um einen kurzen Rückfall gehandelt, ein Versehen, das ihr nicht wieder passieren würde, denn sie hatte erneut Lehrgeld zahlen müssen.
»Ich weiß, ich hätte dir vertrauen sollen. Aber du musst zugeben, dass es ziemlich schwierig ist, unbesehen an solche Dinge wie Besuche aus dem Jenseits zu glauben, wenn man sich sein Leben lang etwas darauf eingebildet hat, mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen zu stehen.« Mit leiser, beschwörender Stimme redete er auf sie ein. Sein Blick brannte ein Loch in die Mauer ihres Widerstands. »Darf ich reinkommen – wenigstens für ein paar Minuten?«
Melissas Hand krampfte sich um die Klinke. Sie hasste sich für ihre Schwäche, als sie stumm beiseitetrat und ihn einließ.
Ohne zu zögern, ging er zum Kamin und wählte den Sessel, in dem vor einer halben Stunde noch Julius gesessen hatte. Widerstrebend setzte sie sich ebenfalls.
»Ich möchte nicht, dass irgendwelche Lügen zwischen uns stehen«, begann er langsam. Dabei vermied er es, sie anzusehen, und starrte in den leeren Kamin.
Melissa wurde bewusst, wie sehr sie sich danach sehnte, seinen Blick auf ihrem Gesicht zu spüren. Unruhig rutschte sie auf der Sesselkante hin und her.
»Deine Freundin Susanne war bei mir. Sie hat mir das Bild gezeigt, das du von ihr und … Julius gemacht hast. Und sie hat mir geschworen, dass zu dem Zeitpunkt, als du auf den Auslöser gedrückt hast, jemand neben ihr stand.« Er klang, als hätte er sich genau überlegt, was er sagen wollte.
Melissa atmete tief durch, bevor sie sich dazu äußerte. »Susanne war bei dir? Ich wusste nichts davon … Hätte ich gewusst, was sie vorhatte, hätte ich sie davon abgehalten.«
Alexander nickte und kraulte Bonzo hinter den Ohren. »Du bist keine Frau, die einem Mann, der ihren Worten nicht glaubt, Beweise frei Haus liefert. Ich weiß jetzt, wie sehr ich dich verletzt habe, als ich dich sozusagen als Märchenerzählerin bezeichnet habe.«
Melissa nickte schweigend.
»Andererseits habe ich selbst ziemlich lange gebraucht, bis ich an meinen Hausgeist geglaubt habe«, gab sie zu. In dem Augenblick, in dem sie die Worte aussprach, fiel ihr ein, was sie in der Verwirrung über seinen plötzlichen Besuch völlig vergessen hatte. Sie war schon einmal drauf und dran gewesen, ihm zu verzeihen. Sie war durch den dunklen Park zu seinem Haus gelaufen – und hatte ihn mit einer anderen Frau angetroffen. Einer Frau mit schwellenden Brüsten und langen blonden Haaren, die ihn genüsslich mit den Augen und später sicher auch mit dem Rest ihres Körpers verspeist hatte.
»Könntest du eventuell in Erwägung ziehen, mir noch eine Chance zu geben?« Als er ihr sein Gesicht zuwandte, lag in seinen Augen so viel Sehnsucht, dass sie fast schwach geworden wäre.
Niemals hätte sie geglaubt, dass ein Mann wie Alexander Burg sie
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