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Mitternachtslust

Mitternachtslust

Titel: Mitternachtslust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Winter
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und schritt zurück zum Kamin, um sich die Schuhe anzuziehen.
    »Richard hätte es gar nicht nötig gehabt, zu arbeiten.« Melissa legte Natascha ein Stück von der federleichten Biskuitrolle auf den Teller. »Ich wusste, dass er von seinen Eltern geerbt hatte, aber ich hatte keine Ahnung, dass es ein richtiges Vermögen war. Das war also der Grund, weshalb sein Anwalt ihm damals zu dem Ehevertrag geraten hatte.«
    »Und nun erbst du trotz des Ehevertrags alles?« Natascha sah Melissa über den liebevoll gedeckten Kaffeetisch hinweg vergnügt an.
    »So ist es. Ich habe bis zum bitteren Ende durchgehalten, und für diesen Fall bin ich laut Ehevertrag und Testament als Alleinerbin vorgesehen.« Noch immer spürte sie bei dem Gedanken an Richards Tod einen kleinen Stich in der Herzgegend, selbst wenn sie versuchte, durch ihren sarkastischen Ton einen Schutzwall zu bauen, hinter dem sie sich verstecken konnte. Es nützte nicht einmal etwas, wenn sie sich mehrmals am Tag selbst daran erinnerte, wie Richard sie während der letzten Jahre ihrer Ehe behandelt hatte. Es war einmal anders gewesen, und so hätte es nicht enden dürfen.
    Mit einem unterdrückten Seufzer schob sie sich einen großen Bissen von der Biskuitrolle in den Mund.
    Sie hatte sich die Mühe gemacht, selbst zu backen. Noch immer beschäftigte sie sich gern mit Arbeiten, die sie von den Gedanken ablenkten, die Tag und Nacht in ihrem Kopf Karussell fuhren. Außerdem fand sie, dass Natascha, die in den Wochen seit Richards Tod zu einer wahren Freundin geworden war, diese Mühe wert war. Es war schön, regelmäßig mit Susanne zu telefonieren, aber ein Telefongespräch konnte weder ein aufmunterndes Lächeln noch eine freundschaftliche Umarmung ersetzen.
    »Dann bist du jetzt also eine wohlhabende Frau«, stellte Natascha ohne jede Spur von Neid fest. »Und was wirst du mit all dem Geld anfangen?«
    »Ein Fotostudio eröffnen«, erklärte Melissa, wie aus der Pistole geschossen. »Ich werde hauptsächlich Porträtaufnahmen machen. Es bereitet mir Spaß, Menschen zu fotografieren und auf dem Foto mehr als ihr Äußeres zu zeigen. Nebenbei werde ich versuchen, einen Fotoband zusammenzustellen und zu veröffentlichen. Das war schon immer mein Traum. Und der Rest des Geldes bleibt, wo er ist – gut angelegt in Aktienfonds und Sparbriefen.«
    Sie überlegte einen Moment, während sie nachdenklich in ihrem Kaffee rührte. »Wahrscheinlich werde ich versuchen, dieses Haus zu kaufen. Ich kann mir nicht mehr vorstellen, woanders zu leben.«
    Natascha sah sich in dem behaglichen Frühstückszimmer um, das selbst jetzt, am späten Nachmittag, von hellem Licht durchflutet war. »Dieses Haus ist wirklich etwas Besonderes, aber … die Sache mit dem Geist …« Sie wandte ihren Kopf, als wäre sie nicht sicher, ob sie nicht belauscht würden.
    »Ja, die Sache mit Julius.« Über Melissas Züge legte sich der Widerschein eines Lächelns. »Gerade seinetwegen möchte ich das Haus kaufen. Ich kann nicht einfach gehen und ihn hier zurücklassen.«
    »Aber was willst du denn für ihn tun, wenn du bleibst? Er wartet auf seine Annabelle – und manchmal denkt er, du wärst sie. Doch du bist es nun einmal nicht. Wie willst du ihm also helfen?«
    Melissa zuckte mit den Achseln. »Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Er hat mir gesagt, eines Tages würde er mich bitten, mit ihm zu gehen.«
    »Mit ihm gehen?!«, schrie Natascha erschrocken.
    »Wenn es so etwas wie Vorbestimmung oder Schicksal gibt, war es kein Zufall, dass ich ausgerechnet an diesem Haus vorbeigekommen bin, als ich nach einer Unterkunft in Hamburg suchte. Das Haus hat mich magisch angezogen, und ich hatte von Anfang an das Gefühl, hierher zu gehören. Deshalb glaube ich auch, dass ich eines Tages wissen werde, was ich tun kann, um ihn zu erlösen.« Beruhigend strich Melissa ihrer Freundin, die sie immer noch entsetzt ansah, über den Arm.
    »Erlösen?«, fragte Natascha mit gerunzelter Stirn.
    »Ja. Ich bin sicher, es gibt irgendetwas, das ich tun kann, um ihm den Weg zu seiner Annabelle zu zeigen.« In ihre Gedanken versunken, schob Melissa das Kuchenstück auf ihrem Teller hin und her.
    »Aber das hier ist kein Märchen, in dem man mal so eben mit einem Kuss einen verwunschenen Prinzen erlöst«, wandte Natascha ein. »Selbst meine Großmutter hat in all den Jahren nie etwas getan, um meinen Großvater zu sich zurückzuholen. Sie hat gewartet, bis es so weit war, und nun sind sie zusammen, dessen bin ich mir ganz

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