Mitternachtslust
Gegenseitigkeit beruhte.
»Oh ja, du hattest Recht«, gab Melissa zu. »Und wie! Im Grunde wusste ich das auch, aber ich wollte es wohl nicht wahrhaben. Ehrlich gesagt, bin ich nicht einmal schockiert oder traurig, sondern einfach nur wütend. Schon allein wenn ich daran denke, dass ich noch letzte Woche für seinen arroganten Chef und die noch arrogantere Frau seines Chefs gekocht und mir den ganzen Abend dieses wichtigtuerische Gerede über die neusten Firmenprojekte angehört habe, könnte ich mich vor Wut sonst wohin beißen.«
Sie stockte, weil ihr plötzlich einfiel, dass sie beschlossen hatte, kühl bis ins Herz zu sein.
»Pack deine Sachen, und komm her!«, befahl Susanne energisch. »Dann gehen wir zusammen auf die Party und sehen uns nach einem neuen Mann für dich um.«
»Männer interessieren mich im Augenblick nicht im Geringsten. Außerdem fahre ich nach Hamburg.« Melissa stopfte einige Seidenhöschen in die Ecken des Koffers. »Und ich muss mich beeilen, weil ich weg sein will, bevor Richard kommt. Seinen Anblick könnte ich jetzt nicht ertragen.«
»Was willst du denn in Hamburg? Kennst du dort jemanden?«, erkundigte Susanne sich irritiert.
»Ich wollte doch sowieso morgen hinfahren, um mich nach einem Haus umzusehen. Das mache ich jetzt eben schon ein bisschen früher.« Lieblos faltete Melissa ein Paar Jeans und eine Bluse zusammen und warf sie ebenfalls in den Koffer.
»Aber wenn du Richard verlässt …«
»Ich verlasse ihn, aber nicht sofort. Das könnte ihm so passen!« Melissa schnaubte wütend in den Hörer.
»Wieso …?« Mehr als das eine Wort brachte Susanne nicht heraus.
»Es gibt da diesen Ehevertrag, den ich unterschrieben habe … Ich muss geistig umnachtet gewesen sein. Nein, eigentlich nicht. Ich dachte, wenn ich nicht unterschreibe, sieht es so aus, als wäre ich hinter seinem Geld her. Schließlich hat Richard kurz vor unserer Hochzeit das Vermögen seiner Eltern geerbt, und schon deshalb riet der Anwalt seiner Familie ihm zu dem Ehevertrag.«
»Und was hast du da unterschrieben?« Susanne klang entsetzt.
»Unter anderem, dass ich keinen Cent vom Zugewinn bekomme, wenn ich diejenige bin, die die Scheidung einreicht.«
»Du bist wahnsinnig!«
»Ich war wahnsinnig. Vielleicht war ich auch nur verliebt«, korrigierte Melissa sie. »Aber das ist jetzt vorbei. Ich werde gehen, aber nicht eher, als bis ich das bekommen habe, was mir zusteht. Mindestens so viel, wie ich brauche, um ein Fotostudio aufzumachen. Immerhin habe ich damals meinen Job aufgegeben, weil Richard wollte, dass ich ihm den Rücken für seine Arbeit freihalte.«
»Aber wie willst du jetzt an das Geld kommen, wenn du unterschrieben hast, dass du auf alles verzichtest? Meinst du, man kann das im Nachhinein einklagen?«
»Keine Ahnung. Das werde ich auch nicht ausprobieren. Ich habe heute ein Konto auf meinen Namen eröffnet, und in den nächsten Monaten werden einige größere und kleinere Summen von unserem gemeinsamen Konto auf dieses Konto überwiesen werden. Wenn ich in Hamburg das neue Haus einrichte, wird Richard sowieso keinen Überblick haben. Er kontrolliert nie die Kontoauszüge. Dazu hat er keine Zeit, und was die täglichen Ausgaben betrifft, vertraut er mir vollkommen. Das konnte er bisher auch.« Sie musste an sich halten, um nicht triumphierend zu lachen.
»Aber wenn du das vorhast, musst du zumindest noch ein paar Monate mit ihm zusammenleben und darfst dir nichts anmerken lassen.« Susanne klang immer irritierter.
»Das ist nicht so schwierig, wie du vielleicht denkst. So oft sehen Richard und ich uns ja gar nicht. Abends kommt er immer erst spät nach Hause. Das wird in Hamburg eher noch zunehmen. Und mindestens drei oder vier Mal im Monat ist er für ein paar Tage auf Geschäftsreise.« Mit Schwung klappte Melissa den Kofferdeckel zu.
»Wenn du meinst …«
»Du glaubst nicht, dass ich das durchziehe, nicht wahr?« Melissa stand vor dem Spiegel und fuhr sich mit einem Kamm durchs Haar. Für mehr war jetzt keine Zeit, obwohl ihr Gesicht blass und fleckig und ihr Lippenstift verschmiert war.
»Es wird nicht einfach sein«, wich Susanne einer klaren Antwort aus.
»Das ist mir klar. Aber ich denke nicht daran, mich wie meine Mutter behandeln zu lassen. Solange ich denken kann, hatten wir nie genug Geld, weil mein Vater sich einfach abgesetzt hat und wir von einem Tag auf den anderen ohne ihn und sein Einkommen zurechtkommen mussten. Meine Mutter hatte ihre Arbeit aufgegeben, weil er
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