Mitternachtslust
fand, sie sollte sich um den Haushalt und um mich kümmern. Wahrscheinlich passte es ihm recht gut in den Kram, dass meine Mutter von ihm abhängig war, solange er mit ihr zusammenlebte. Es ist schlimm genug, dass ich den gleichen Fehler wie meine Mutter gemacht habe, als Richard erklärte, wie viel angenehmer es für uns beide wäre, wenn ich Zeit hätte, es uns zu Hause schön zu machen.«
Mit neu erwachter Wut schob Melissa die teure chinesische Vase, ein Erbstück aus Richards Familie, so heftig zur Seite, dass sie beinahe über den Rand des niedrigen Tischchens gekippt wäre.
»Aber deshalb lasse ich ihn noch lange nicht so davonkommen, wie meine Mutter meinen Vater davonkommen ließ«, fuhr sie fort, nachdem sie die Vase aufgefangen hatte. »Ich werde das bekommen, was mir zusteht – oder wenigstens einen Teil davon. Das tue ich nicht nur für mich, sondern auch für meine Mutter. Sie würde mir Recht geben, wenn sie noch lebte.«
»Das glaube ich auch.« Nun schien Susanne von der unerwarteten Entschlossenheit ihrer Freundin doch beeindruckt. »Allerdings ist Geld nicht alles. Versprich mir, ihn sofort zu verlassen, wenn du das Gefühl hast, die Sache wächst dir über den Kopf!«
»Warum sollte mir irgendetwas über den Kopf wachsen? Ich werde noch ein paar Monate so weiterleben wie bisher, das ist alles.«
»Wirst du auch mit ihm schlafen?«
Melissa öffnete den Mund, um zu antworten, und schloss ihn sofort wieder. Über diesen Punkt hatte sie noch nicht nachgedacht.
»Das wird sich finden«, erklärte sie schließlich in einem Ton, der wesentlich gleichmütiger klang, als sie sich angesichts dieser Frage fühlte. »In letzter Zeit kam das ohnehin nicht mehr allzu häufig vor. Ehrlich gesagt, habe ich es nicht besonders vermisst – eigentlich ist mir bis jetzt nicht mal aufgefallen, wie selten wir nur noch miteinander schlafen. So wahnsinnig viel Spaß hatte ich im Bett ohnehin nie mit ihm. Natürlich hatte diese nachlassende … Frequenz ihren Grund: Richard war eben anderweitig ausgelastet.«
»Aber es kam vor – also wird es auch weiterhin vorkommen, solange du bei ihm bleibst. Wie wirst du dich fühlen, wenn du genau weißt, dass es neben dir noch die eine oder andere Frau gibt, in die er sein Ding steckt?«
»Es wird mir wohl nichts anderes übrigbleiben, als herauszufinden, wie ich mich dabei fühle. Da bin ich schätzungsweise nicht die erste Ehefrau.«
»Melissa – ich weiß wirklich nicht …«
»Mach dir keine Gedanken! Ich fahre jetzt erst mal nach Hamburg. Morgen oder übermorgen bin ich wieder da. Dann melde ich mich bei dir.«
»Gut. Aber versprich mir, über die ganze Sache noch einmal nachzudenken! Wenn du ein Fotostudio eröffnen willst, kannst du das auch so schaffen, da bin ich ganz sicher.«
»Natürlich kann ich das.« Mit der freien Linken zog Melissa den Koffer vom Bett, während sie mit der rechten Hand immer noch den Hörer ans Ohr hielt. »Ich muss jetzt los. Viel Spaß bei der Party heute Abend!«
Susanne unterdrückte einen Seufzer. »Ich habe gar keine Lust mehr, da hinzugehen.«
»Was willst du sonst tun? In deiner Wohnung herumsitzen und dir Sorgen um mich machen? Ich bin erwachsen und weiß, was ich tue.«
»Du hast Recht. Außerdem wird Stefan da sein. Du weißt schon, unser neuer Artdirector – der mit dem süßen Lächeln. Ich habe das Gefühl, heute Abend könnte sich endlich etwas zwischen uns tun.«
»Dann mach dich jetzt schön, und los geht’s!« Es fiel Melissa nicht einmal besonders schwer, forsch und sorglos zu klingen und das Gespräch auch in diesem Ton zu beenden.
Bevor sie das Schlafzimmer verließ, zögerte sie und kehrte dann noch einmal um, weil sie spontan beschlossen hatte, die chinesische Vase in ihren Koffer zu packen. Das hauchzarte Porzellangefäß war zwar nicht besonders groß, aber dafür umso wertvoller, wie Richard oft genug betont hatte. In Hamburg gab es viele Antiquitätenhändler, und was wollte Richard tun, wenn sie behauptete, die Vase wäre ihr heruntergefallen und in tausend Stücke zerbrochen?
In der Küche schrieb sie Richard einen Zettel, auf dem sie ihm mitteilte, sie hätte von dem Hamburger Makler, mit dem sie sich bereits vorab in Verbindung gesetzt hatte, telefonisch einige interessante Angebote erhalten und wollte sich die betreffenden Häuser so rasch wie möglich ansehen, bevor sich andere Interessenten fänden.
Wahrscheinlich würde er sich wundern, dass sie ihn nicht im Büro angerufen hatte, aber im
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