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Mitternachtslust

Mitternachtslust

Titel: Mitternachtslust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Winter
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hinaus gingen. Natürlich, von dort aus habe sie einen wunderschönen Blick auf die Binnenalster. Selbstverständlich werde man sich um ihren Wagen kümmern. Wenn sie bitte dem Pagen folgen wolle, er werde ihr das Zimmer zeigen.
    Lautlos glitt der Lift nach oben. Es gab nicht einmal einen Ruck, als er hielt. Mit ihrem kleinen Koffer in der Hand eilte der Page vor ihr her über den dicken Läufer, der alle Geräusche verschluckte.
    Nur mit Mühe konnte Melissa Schritt halten, weil sie beim Gehen in ihren Jackentaschen nach Trinkgeld suchte. Sie hatte die Angewohnheit, das Silbergeld lose einzustecken, und fand nie auf Anhieb die passenden Münzen.
    Als der Page stehen blieb und mit der kleinen Plastikkarte die Zimmertür für sie öffnete, fischte sie kurzerhand einen Geldschein aus ihrem Portemonnaie.
    Richard hatte ihr schon oft erklärt, es sei schlimmer, zu viel als zu wenig Trinkgeld zu geben. »Die Leute werden dann unverschämt«, behauptete er immer. Obwohl ihr diese Logik nie schlüssig erschienen war, hatte sie ein schlechtes Gewissen, als sie dem Pagen das Geld in die Hand drückte.
    Auf dem jungenhaften Gesicht – er wirkte höchstens wie sechzehn – zeigte sich erst ein verdutztes, dann ein strahlendes Lächeln, welches die müden Augen für ein oder zwei Sekunden vergnügt aufblitzen ließ. Wahrscheinlich entsprachen die zwanzig Euro in etwa der Summe, für die er sonst drei oder sogar vier Stunden arbeiten musste.
    »Vielen Dank!« Seine Vorderzähne waren ein wenig schief, was den Glanz seines Lächelns auf geheimnisvolle Weise zu verstärken schien. »Wenn Sie noch irgendetwas brauchen, melden Sie sich bitte an der Rezeption. Mein Name ist Gerd. Heute habe ich bis Mitternacht Dienst, morgen wieder ab fünfzehn Uhr.«
    »Danke, Gerd. Ich werde daran denken.«
    Sie ertappte sich dabei, dass sie immer noch breit lächelte, als der Page das Zimmer verlassen hatte. Konnte es sein, dass Richard einfach nur knauserig war?
    Nachdem sie die wenigen Sachen aus ihrem kleinen Koffer in den Schrank geräumt hatte, zog sie die schweren Vorhänge zurück und sah aus dem Fenster. Von hier oben erschien das Lichtermeer auf dem dunklen Wasser unendlich groß, wie eine zweite, geheimnisvolle Stadt.
    Melissa war leicht zusammengezuckt, als die Angestellte an der Rezeption beiläufig den Zimmerpreis erwähnt hatte, doch nun fand sie, dass allein die Aussicht das Geld wert war.
    Obwohl sie seit mittags nichts gegessen hatte, verspürte sie nicht genug Hunger, um im Restaurant ein spätes Abendessen zu sich zu nehmen, wie sie es eigentlich vorgehabt hatte. Stattdessen fischte sie aus der Minibar ein Beutelchen mit Erdnüssen. Auf der breiten Fensterbank sitzend, kaute sie die Nüsse.
    Als sich das Bild, vor dem sie hierher geflohen war, langsam, aber unaufhaltsam vor die funkelnden Lichter unten auf dem Wasser schob, stand sie hastig auf, um sich etwas zu trinken zu holen. Die kleinen Flaschen mit Mineralwasser und Säften, die in der Minibar ganz vorn standen, schob sie zur Seite und griff entschlossen nach einem Piccolo. Wenn schon, denn schon! Sie füllte eines der bereitstehenden langstieligen Gläser bis zum Rand.
    Der Sekt schmeckte ihr nicht, obwohl er gut gekühlt und sehr trocken war, wie sie es mochte. Dennoch trank sie, mitten im Raum stehend, einen zweiten und einen dritten Schluck. Erst nachdem sie das halbe Glas geleert hatte, fiel ihr ein, dass es keinen Grund gab, allein in ihrem Zimmer zu trinken.
    Plötzlich hatte sie es eilig, der Abgeschiedenheit zu entfliehen, vertauschte rasch das zerknitterte Kostüm mit dem schlichten streng geschnittenen Kleid, das sie für ihre Maklerbesuche mitgebracht hatte. Einer von Richards zahlreichen unumstößlichen Grundsätzen lautete, bei geschäftlichen Anlässen stets untadelig und seriös gekleidet aufzutreten.
    Aus dem grell beleuchteten Spiegel im Bad starrte ihr eine blasse Frau mit riesigen hellblauen Augen entgegen. Mit ein wenig Teintgrundierung, Puder, Rouge und Lippenstift malte sie sich Farbe ins Gesicht. Den verwundeten Ausdruck ihrer Augen konnte sie nicht übertünchen. In ihrer Handtasche suchte sie nach ein paar Spangen, steckte sich das Haar locker hoch und ließ eine breite Strähne in die Stirn, bis über ihr rechtes Auge fallen.
    Auf dem Weg durch das Zimmer griff sie im Vorübergehen nach dem Sektglas, leerte es in einem Zug, ließ es auf dem kleinen Garderobentisch zurück und zog eilig von außen die Tür hinter sich ins Schloss, als könnte sie

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