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Mitternachtslust

Mitternachtslust

Titel: Mitternachtslust Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Winter
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alle Peinlichkeiten und quälenden Bilder im Zimmer einsperren.
    Die Bar war zu dieser späten Stunde nur mäßig besucht. An drei oder vier der im Raum verteilten Tischchen saßen flüsternde Paare, die allesamt nicht besonders verheiratet aussahen. Aber das bildete Melissa sich vielleicht nur ein, weil sie selbst schon seit einer Ewigkeit nicht mehr mit Richard geflüstert hatte. Hatte sie überhaupt jemals mit ihm geflüstert? Flüsterte er Geheimnisse in Rita Hills Ohr?
    Abrupt wandte sie sich ab, als einer der Männer, ein gut aussehender Grauhaariger, der eine frappierende Ähnlichkeit mit Richard Gere hatte, sie über den blond gefärbten Kopf seiner Begleiterin hinweg aufmerksam ansah und ihr nach kurzer eingehender Musterung einladend zulächelte.
    Während sie auf die Bar zuging, spürte Melissa in ihrem Magen die Wut wie einen Knoten, der mit jedem Schritt größer und fester wurde. Was erlaubten diese Kerle sich eigentlich? Und wieso, verdammt nochmal, hatte sie, immer noch sittsam und scheu, wie man es ihr als kleines Mädchen beigebracht hatte, eben weggeschaut, anstatt ihm zumindest einen tödlichen Blick zuzuwerfen – oder ihm die Zunge herauszustrecken?
    Entschlossen drehte sie sich um, doch inzwischen hatte Gere sich wieder seiner Begleiterin zugewandt. Er redete mit jenem selbstzufriedenen Gesichtsausdruck auf sie ein, mit dem Männer über ihre geschäftlichen und privaten Erfolge zu berichten pflegen. Melissa starrte ein oder zwei Sekunden den brav nickenden Hinterkopf seiner Zuhörerin an, bevor sie auf einen der hohen Hocker kletterte.
    »Einen trockenen Martini, bitte«, bestellte sie bei dem Mann hinter der Bar, der sich ihr sofort mit der perfekten Imitation eines Lächelns zuwandte.
    Im Bezug auf Cocktails war Melissa nicht gerade eine Expertin, und da dies kein Tag war, an dem sie in der Stimmung für Experimente war, hielt sie sich an das wenige, was sie kannte, wenn auch nicht unbedingt mochte.
    Halb verborgen hinter ihrer rotbraunen Haarsträhne, sah sie zu, wie der Barkeeper mit geschickten Bewegungen ihren Drink mixte und in das Cocktailglas goss. Sie erwiderte das unverbindliche Nicken, mit dem er ihr das Glas hinschob, und nippte an der eiskalten Flüssigkeit. Zu ihrem Erstaunen schmeckte es ihr besser als der Sekt oben in ihrem Zimmer. Zudem hatte der Martini den Vorteil, dass sie mit der auf einem Stäbchen steckenden Olive, die sie ohnehin niemals aß, herumspielen konnte.
    »Ich frage mich auch jedes Mal, warum ich Martini bestelle, wenn ich schon die Olive nicht mag.«
    Melissa schreckte hoch, als sie so plötzlich von der Seite angesprochen wurde. Sie hatte nicht bemerkt, dass sich jemand neben sie gesetzt hatte.
    Gerade wollte sie eine schnippische Antwort geben, als ihr einfiel, dass es nur zwei Gründe gab, eine Hotelbar zu besuchen: Entweder wollte man sich gern mit jemandem unterhalten – zum Beispiel, um sich von finsteren Gedanken und der eigenen Einsamkeit abzulenken – oder man hatte vor, sich aus demselben Grund zu betrinken. Da sie Letzteres nicht unbedingt als gute Idee ansah, konnte sie genauso gut ein paar Worte mit ihrem Nachbarn wechseln. Wenigstens hatte er keine Begleiterin bei sich, über deren Kopf hinweg er ihr lüsterne Blicke zuwarf.
    Beherzt schob sie die Haarsträhne zur Seite und wandte ihren Kopf nach rechts. Natürlich ein Mann mit teurem Haarschnitt, teurer Krawatte und maßgeschneidertem Zweireiher! Andererseits konnte man in der Bar eines Hotels dieser Preisklasse keinen mittellosen Lebenskünstler in ausgewaschenen Jeans erwarten.
    »Ich finde das mit den Oliven ganz praktisch«, behauptete Melissa kühl. »Man verliert nie den Überblick, wie viel man getrunken hat.«
    Sie nahm sich eine der kleinen Servietten und legte das Stäbchen mit der Olive darauf. »Nummer eins.«
    Das glucksende Lachen, mit dem ihr Nachbar auf ihre Demonstration reagierte, erinnerte eher an einen ausgelassenen Fünfjährigen als an einen abgebrühten Geschäftsmann. Noch einmal schielte sie unter ihren Haaren hervor und erspähte in seinen Wangen Andeutungen von Grübchen. Vielleicht war er gar nicht so cool, wie sein Outfit glauben machen wollte. Oder er hatte bereits ziemlich viele Martinis intus.
    »Wie viele Drinks hatte ich schon?«, erkundigte er sich beim Barkeeper, nachdem er fertig gegluckst hatte.
    »Drei, der Herr«, erwiderte der Mann hinter der Bar mit ausdruckslosem Gesicht.
    »Dann hätte ich gern einen vierten – und drei Oliven extra, bitte.« Die

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