Mitternachtslust
ohne weiteres von ihren Überzeugungen abbringen ließen. »Es ist auch, wie sie den Kopf so ein bisschen zur Seite legt und den Mund verzieht. Das ist kein richtiges Lächeln, aber sie ist auch nicht richtig ernst. Genau so ein Gesicht machen Sie auch oft.«
»Das ist Zufall.« Energisch befreite Melissa ihre Haare aus Frau Grubers Griff.
»Das Kleid auf dem Bild sieht aus wie das rote Ballkleid, das wir oben gefunden haben.« Gerda Gruber hielt ihr Gesicht so dicht vor das Gemälde, dass ihre Nasenspitze fast die Leinwand berührte.
»Kann schon sein, aber das ist nicht weiter verwunderlich. Ich nehme an, die Menschen zogen früher ihre besten Kleider an, wenn sie porträtiert wurden. Und natürlich wurden diese guten Kleider am ehesten aufbewahrt.« Es war ein befriedigendes Gefühl, wenigstens für diesen Zufall eine rationale Erklärung zu finden.
»Sie hieß Annabelle«, verkündete Frau Gruber, die das kleine Messingschild am Rahmen entdeckt hatte, munter.
»Ich weiß«, flüsterte Melissa. Automatisch sah sie zum Kamin hinüber, der im schwindenden Licht nur ein dunkles Loch in der Wand bildete.
»Dann hole ich jetzt noch das andere Gemälde aus der Kammer, und Sie sagen mir, in welches Zimmer ich die Bilder bringen soll.« Gerda Grubers Energie und Entdeckerfreude war ungebrochen.
»Nein, nein, ich überlege mir lieber noch einmal genau, ob und wo ich die Bilder aufhängen will. Vorerst sind sie in der Kammer gut aufgehoben. Bringen Sie doch bitte dieses Bild gleich zurück!«
»Das wäre aber schade, wo sie doch aussieht wie Sie.« Gerda Gruber schaute enttäuscht drein.
»Sie können dann für heute Schluss machen«, blockte Melissa jede weitere Diskussion ab. »Ich werde auf jeden Fall heute Abend die Kleider anprobieren und Ihnen dann morgen sagen, ob es etwas zu ändern gibt. Es ist sehr nett, dass Sie mir angeboten haben, solche Aufgaben zu übernehmen. Meistens ist es nicht so einfach, jemanden zu finden, der Änderungsarbeiten gut und zuverlässig erledigt, besonders wenn die Zeit drängt.«
»Aber das ist doch kein Problem! Wo mein Sohn jetzt in München studiert, habe ich sowieso zu Hause kaum noch etwas zu tun.« Sichtlich geknickt trug Frau Gruber Annabelles Porträt in die Abstellkammer zurück.
Nachdem ihre manchmal etwas übereifrige Zugehfrau gegangen war, bereitete Melissa sich in der Küche einen kleinen Abendimbiss zu. Zum Essen setzte sie sich so an den Tisch, dass sie in den Garten hinaussehen konnte.
Irgendwo dort hinter den hohen Bäumen stand das kleine Gärtnerhaus. Ob Alexander zu Hause war? Malte er gerade wieder bei lauter Musik? Hatte er im Laufe des Tages vielleicht gelegentlich an sie gedacht?
Während sie sich an den gestrigen Abend erinnerte, spürte sie ein Prickeln auf der Haut, das sich von ihren Schenkeln aus auf ihrem ganzen Körper ausbreitete.
Sie bestrich ein Stück Vollkornbrot mit Butter und bemühte sich, an etwas anderes zu denken. Gestern war gestern gewesen. Sie war entschlossen, die Sache als das zu sehen, was sie war: eine heiße Affäre in einer Nacht, in der alles ein bisschen anders gewesen war als sonst. Sie hatte ihren Spaß gehabt und Alexander offensichtlich auch. Mehr wollte sie auf keinen Fall. Wenn Richard ihr schon so sehr hatte wehtun können, was konnte ein Mann wie Alexander da erst in ihrem Leben anrichten? Aber dazu würde sie ihm keine Gelegenheit geben, so viel stand fest.
Sie stellte das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine und ging nach oben, um in ihrem Schlafzimmer die Ballkleider anzuprobieren. Nachdem sie beide nebeneinander auf dem Bett ausgebreitet hatte, stand sie lange nachdenklich vor den sorgfältig gearbeiteten Werken der Schneiderkunst. Jedes der beiden Kleider war auf seine Art einzigartig schön, wenn sie auch jetzt schon ziemlich sicher war, dass sie das rote tragen wollte.
Plötzlich konnte sie es kaum noch abwarten, das Kleid an ihrem Körper zu spüren. Hastig streifte sie T-Shirt und Jeans und, nachdem sie kurz überlegt hatte, auch das Seidenhemdchen und den BH ab. Der Ausschnitt der Abendrobe war sehr tief, sodass sie sich spezielle Unterwäsche besorgen musste, falls es überhaupt nötig sein würde, mehr als ein Höschen und Strümpfe unter diesem Kleid zu tragen.
Leise knisternd glitt der dünne Stoff an ihrem Körper hinunter, schmiegte sich an ihre Taille und ließ gerade so viel von ihrem Busen sehen, dass es zwar aufregend, aber nicht anstößig wirkte.
Nachdem sie die Häkchen an der
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