Mitternachtsmorde
registrierte, dass es ihn ganz und gar nicht störte, nackt vor ihr zu stehen, und sagte: »Guten Morgen«, ehe sie ihm einen Kuss zuwarf und weiter dem Kaffee entgegeneilte.
Sie schenkte zwei Tassen voll und nahm sie beide mit zum Bad. Knox stand inzwischen vor dem Waschbecken, das Handtuch um die Taille geschlungen, und drückte Rasiercreme in seine Handfläche. Nikita reichte ihm eine Tasse. »Möchtest du vielleicht einen Schluck Kaffee, bevor du dir das ins Gesicht schmierst?«
»O Gott, ja.« Er stellte die Dose mit der Rasiercreme ab, griff nach der Tasse und trank mit einem seligen Lächeln einen genussvollen Schluck. »Manche Leute trinken nie Kaffee«, kommentierte er. »Ich frage mich, wie die überleben.«
Wie von selbst schob sich ihre Hand unter sein Badetuch und tätschelte diesen wunderbaren Hintern, was ihr einen innigen Kuss einbrachte – so innig wie möglich zumindest, da sie beide eine Tasse mit heißem Kaffee in der Hand hielten und seine andere Hand mit Rasierschaum gefüllt war. »Soll ich inzwischen Frühstück machen?«, fragte sie, als ihre Lippen wieder frei waren. Sie drückte einen kurzen Kuss auf seine nackte Schulter. »Wenn du mir sagst, was ich tun soll und wie ich es tun soll, werde ich es schon schaffen.«
Er sah sie betreten an. »Ich glaube, wir haben nichts zum Frühstücken hier.«
»Nichts zu essen?«
»Nichts zu essen. Wir holen uns unterwegs was. Und ich kaufe heute ein, Ehrenwort.«
Falls er Zeit dafür fand, dachte sie. Während der letzten zwei Tage hatte er jedenfalls keine freie Minute gehabt. Vielleicht konnte sie das übernehmen, nachdem er ihr einen neuen Wagen besorgt hatte. Er hatte noch andere Fälle zu bearbeiten; er durfte seine Arbeit nicht vernachlässigen. Sie war darauf angewiesen, dass er ihr half, sich in seiner Welt zurechtzufinden, da konnte sie sich ruhig nützlich machen, bis er wieder Zeit hatte.
Während sie darauf wartete, dass er das Bad freigab, schlenderte sie ins Wohnzimmer und inspizierte seine Bücherstapel. Eine Reihe großer, eher dünner Bücher fiel ihr ins Auge; sie zog eines heraus und klappte es, ohne sich den Titel anzusehen, auf. Es war voller Fotos.
Sie warf einen Blick auf den Umschlag. Er war aus weißem Kunstleder, und vorn waren die Worte Pekesville Highschool und darunter das Jahr 1986 eingeprägt. Ein Jahrbuch aus Knox’ Highschool. Lächelnd blätterte sie darin herum, bis sie auf Knox stieß, einen schlaksigen Jungen mit ernster Miene. Er musste damals etwa sechzehn Jahre alt gewesen sein, in seinen Schultern und seinem Nacken zeigten sich schon die ersten Muskeln, und sein Kinn war von einem leichten Schatten überzogen, der verriet, dass er sich bereits regelmäßig rasierte.
Sie stellte das Jahrbuch zurück und holte ein anderes heraus. Das hier stammte aus dem Jahr 1985, dem Jahr, in dem die Zeitkapsel vergraben worden war. Wieder suchte sie Knox’ Foto heraus; wie viel ein einziges Jahr doch ausmachte. Auf diesem Foto wirkte er ohne den Bartschatten, den er im nächsten Jahr hatte, so viel jünger und jungenhafter.
Aus reiner Neugier blätterte sie zum Anfang zurück und ging das Buch Seite für Seite durch. Sie kam zu den Bildern des Lehrerkollegiums und suchte das Porträt von Howard Easley heraus, dem Football Coach, der sich später umgebracht hatte. Ein nett aussehender Mann, dachte sie, dessen Gesicht nichts von der Trauer verriet, die ihn vor seiner letzten Tat innerlich zerfressen haben musste. Das Alter eines Menschen aufgrund eines Fotos zu schätzen war eine knifflige Sache, aber sie vermutete, dass der Mann mit dem dichten, dunklen Haar und den packenden hellen Augen Anfang vierzig war.
Sie studierte seinen beruflichen Werdegang; er hatte mehrere Abschlüsse gemacht, darunter einen M. A., und hatte Sport und Physik gelehrt. Er hatte die University of Kentucky und das California Institute of Technology besucht.
Als Knox mehrere Minuten später ins Zimmer kam, glatt rasiert und halb bekleidet, starrte sie immer noch das Bild an. Wenigstens hatte er Jeans angezogen. »Was schaust du dir an?«
»Dein Jahrbuch von 1985.« Sie sah auf. »Der Coach, Howard Easley. Er war am Cal Tech. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mittelmäßige Studenten dort einen Abschluss machen können, oder? Er hat nicht nur Sport, sondern auch Physik unterrichtet. Er ist bislang der einzige Mensch, der wenigstens annähernd qualifiziert wäre, das zu verfassen, wonach wir suchen.«
Er blieb neben ihr stehen und
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