Mitternachtsmorde

Menschheit gelernt und vollbracht, aber dennoch hatte sie es bislang nicht geschafft, digitale Informationen über mehr als eine Generation zu speichern. Vielleicht konnte sie Papier mit nach Hause nehmen, dachte sie. Wenn sie es verkaufte, konnte sie sich damit eine solide finanzielle Grundlage schaffen.
    »Stift?«, fragte sie schließlich, woraufhin er einen aus der Innentasche seines Jacketts nahm und ihr reichte.
    Erst zog sie eine Querlinie über das Papier, die sie danach mit kleineren senkrechten Linien unterteilte. Dann schrieb sie über jede kurze Linie den Buchstaben eines Wochentages: M, D, M, D, F, S, S, quer über das ganze Papier.
    Anschließend malte sie zwischen Montag und Dienstag einen abwärts weisenden Pfeil. »Am frühen Montagmorgen kam jemand durch, wir wissen nur nicht, wer. Wer auch immer es war, er wusste genug, um die Schleusen im Transitlabor zu umgehen und sich selbst in die Vergangenheit zu transportieren. Wir wissen, wann er …«
    »Er?«
    »Aus praktischen Gründen sage ich ›er‹ und nicht ›er oder sie‹, obwohl es genauso gut eine Frau gewesen sein könnte. Jedenfalls wissen wir aufgrund der Angaben im Computer, wann und wohin der Transit erfolgte. Früher musste man das Gewicht des Reisenden kennen und den Computer auf genau dieses Gewicht kalibrieren, aber das war zu gefährlich, denn was war, wenn der Reisende in der anderen Zeit Gewicht zulegte, und sei es auch nur ein Pfund? Dann würde er nicht zurückkehren können. Die Methode wurde also verfeinert, sodass heute das Gewicht keine Rolle mehr spielt. Jetzt kommt es nur noch auf die Manschetten an.«
    »Manschetten?«
    Er war ein Meister der einsilbigen Fragen, schoss es ihr durch den Kopf. »Es sind echte, greifbare Manschetten, die um die Fuß- und Handgelenke getragen werden und auf dem Transport hierher und wieder zurück programmiert sind.«
    »Und wo sind Ihre?«
    »In einem sicheren Versteck, wo sie niemand finden kann. Wenn ich meine Manschetten verliere, kann ich nicht zurückkehren, bis ein R-Team mit Ersatzmanschetten eintrifft.«
    »Wenn wir von R-Team sprechen, meinen wir ein Rettungskommando, nehme ich an«, bemerkte er.
    »Eigentlich bedeutet es Rückholteam. Es handelt sich dabei um speziell ausgebildete Einsatzkommandos, weil niemand weiß, unter welchen Bedingungen sie handeln müssen. Gewöhnlich wird nur ein einziges Team geschickt, um möglichst wenig Aufmerksamkeit zu erregen.«
    Er stützte das Kinn in die Hand und lächelte sie an. »Falls Sie mir was vorflunkern, machen Sie das wirklich gut. Sie haben echt Phantasie. Erzählen Sie weiter.«
    Sie sah ihn lange und durchdringend an. »Wenn Sie das alles für ein Hirngespinst halten würden, würden Sie Ihre Zeit nicht damit verschwenden, mir zuzuhören, das wissen Sie ganz genau. Mehr noch, wenn das hier eine Vernehmung wäre, dann säßen wir nicht in Ihrem Büro, sondern in einem Vernehmungsraum, und unser Gespräch würde aufgezeichnet. Vielleicht möchten Sie mir nicht glauben, aber meine Ausrüstung können Sie auch nicht erklären, oder?«
    »Ich höre zu. Mehr können Sie nicht verlangen.«
    Sie würde wesentlich mehr von ihm verlangen müssen, aber einstweilen ließ sie das Thema auf sich beruhen und kehrte zu ihrer Skizze zurück. »Auf einem Computer im Transitlabor wurde eine Nachricht mit einer Art ›Ätsch-fangt-mich-doch-Botschaft‹ hinterlassen. Offenbar haben sich politische Aktivisten Zutritt zum Labor verschafft und wollen demonstrieren, wie leicht Zeitreisen missbraucht werden können.« Sie holte kurz Luft. »Dazu muss man wissen, dass es verschiedene Gruppierungen gibt, die sich aus unterschiedlichen Gründen gegen jede Form von Zeitreisen einsetzen. Manche haben damit moralische Probleme – man sollte das, was Gott uns zugedacht hat, nicht in Frage stellen. Andere haben eher praktische Bedenken und wollen die Geschichte nicht verändern, weil das katastrophale Konsequenzen haben könnte.«
    »Theoretisch kann man die Geschichte überhaupt nicht verändern.«
    »Im Kleinen trifft das jedenfalls nicht zu. Sagen wir, jemand in meiner Zeit würde Aufzeichnungen über alte Lottozahlen finden und die richtigen Nummern tippen, dann würden die Gewinne zwischen ihm und dem oder den anderen Gewinnern aufgeteilt. Nur der jeweils gewonnene Betrag würde sich ändern, was möglicherweise zu kleineren ökonomischen Schwankungen, aber zu keinen größeren Verwerfungen führen würde.«
    »Und dann könnte der Zeitreisende die Gewinne in