Mitternachtsmorde
Verschlussband und tastete alles noch einmal ab, um sicherzugehen, dass sich nichts auflösen konnte. »Was ist das für ein Draht?«
»Der Verschluss von der Mülltüte. Mir sind heute die Haargummis ausgegangen, deshalb müssen wir uns damit behelfen.«
Ohne auf seine ironische Bemerkung einzugehen, sagte sie: »Ich brauche noch ein Hemd oder eine Jacke, um meine Waffe zu verbergen.« Sie verstummte, weil ihr unerwartet ein schrecklicher Verdacht kam. Misstrauisch kniff sie die Augen zusammen. »Du gibst sie mir doch zurück, oder?«
Er zuckte mit den Schultern und ließ ein halbes Schmunzeln um seine Lippen spielen. »Wozu willst du sie denn haben? Du hast doch deinen kleinen Laserstift, mit dem kannst du mehr Schaden anrichten als mit einer Neun-Millimeter.«
»Ja, das kann ich, und ich werde ihn notfalls auch einsetzen. Aber glaubst du nicht, dass es intelligenter wäre, unnötige Aufmerksamkeit zu vermeiden?«
»Natürlich ist es klug, Aufmerksamkeit jeder Art zu vermeiden. Und wenn man dich mit einer Waffe herumlaufen sieht, wird man dich automatisch für eine Polizistin halten, was wir tunlichst vermeiden möchten.« Er sah sie an. »Deine Waffe ist im Auto. Trag sie in der Handtasche, nicht im Gürtel. Andererseits wird es hier in den Bergen nachts ziemlich kühl, und du wirst mehr zum Anziehen brauchen als nur ein T-Shirt. Ich bin gleich wieder da.«
Er verschwand in seinem Schlafzimmer und kehrte gleich darauf mit einem verblichenen Jeanshemd zurück. »Zieh das über.«
Das Hemd gehörte natürlich ihm und ließ sie niedlich kleinmädchenhaft wirken, obwohl sie für diese Zeit überdurchschnittlich groß war. Sie rollte die Ärmel bis zu den Ellbogen hoch und ließ das Hemd offen. »Ich bin bereit, wenn du nicht noch was zu erledigen hast.«
»Nur eine Sache«, sagte er und küsste sie noch einmal.
14
Knox sah kurz zu Nikita hinüber, die flach auf dem Beifahrersitz lag, damit niemand sah, wie sie von seinem Haus wegfuhr. Natürlich würde sie früher oder später gesehen werden, aber er wollte nicht, dass sie auftauchte, direkt nachdem eine FBI-Agentin abgetaucht war. Jedem, der neugierige Fragen stellte, würde er erzählen, dass die Agentin keine Verbindungen zwischen dem Mord an Taylor Allen und den von ihr untersuchten Fällen festgestellt hatte und daraufhin abgereist war. Sie war eine FBI-Agentin; die Polizisten hier in der Gegend würden nicht davon ausgehen, dass sie genauso arbeitete, wie sie selbst es tun würden. Wenn nur ein, zwei Tage zwischen ihrem Verschwinden und dem Auftauchen der schönen Unbekannten lagen, würden die Menschen kaum eine Verbindung zwischen den beiden Frauen herstellen.
Etwas an ihr irritierte ihn, und zwar abgesehen von der Tatsache, dass sie zweihundert Jahre aus der Zukunft kam. Entweder war sie in allem ungeheuer gelassen, oder sie war praktisch emotionslos. Nur ein einziges Mal hatte er eine echte Reaktion an ihr beobachtet, und das war gewesen, als sie den anderen Agenten aus der Zukunft, diesen Luttrell, erschossen hatte. Im ersten Moment hatte er befürchtet, sie würde sich die Eingeweide aus dem Leib kotzen. Doch gleich darauf hatte sie sich zusammengerissen und mit fast roboterhafter Ruhe reagiert.
Roboterhaft.
Plötzlich begann es unter seiner Kopfhaut zu kribbeln, so als würden sich all seine Haare aufstellen. Unmöglich. Was er da dachte, war unmöglich. Sie fühlte sich an wie eine Frau aus Fleisch und Blut; sie roch wie eine Frau aus Fleisch und Blut. Ihre Haut war warm, sie atmete – oder schien wenigstens zu atmen. Unvermittelt spürte er das Bedürfnis, einen Finger unter ihre Nase zu halten, um festzustellen, ob er einen warmen Luftzug spürte.
Sie hatte zwei Hamburger, Pommes frites und Suppe gegessen. Konnten Roboter essen? Warum sollte überhaupt jemand einen Roboter erfinden, der essen konnte? Was für eine Verschwendung von Technologie – und von Nahrungsmitteln!
Kommt darauf an, wozu der Roboter gebraucht wird, dachte er. Wenn ein Roboter aus irgendeinem Grund eine Gruppe oder Armee infiltrieren sollte und dafür möglichst menschlich wirken musste, würde er auch essen müssen.
Aber sie küsste auch wie eine Frau aus Fleisch und Blut, sie hatte weiche, warme Lippen und einen feuchten Mund. Doch kaum hatte er sich angesichts dieser Erkenntnis gefragt: »Was habe ich mir nur dabei gedacht?«, da fiel ihm der Film Blade Runner mit seinen Replikanten ein. Die Replikanten hatten durch und durch menschlich gewirkt, aber es waren
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