Mitternachtsschatten
eingeschlafen bist.“
Rachel-Anns Lächeln war zugleich bitter und sehnsüchtig. „Wie immer ganz die liebe Schwester, Jilly. Wird dir das denn nie langweilig?“
„Nie.“
„Du brauchst dir keine Sorgen um mich zu machen. In meinem Zimmer gehts mir gut, das betreten sie nie. Dafür habe ich gesorgt.“
„Rachel-Ann, da sind keine Geister, die …“
„Glaub mir doch wenigstens dieses eine Mal. Es gibt sie. Ich kann sie nur loswerden, wenn ich trinke, aber genau das will ich nicht mehr tun. Ich werde jetzt einfach ins Bett gehen, und morgen früh ist alles wieder in Ordnung. Tagsüber lassen sie mich in Ruhe“. Rachel-Ann grinste. „Schau mich nicht so an. Ich bin nicht verrückt. Es spukt hier tatsächlich.“
„Hast du deinem Therapeuten von den Geistern erzählt?“ fragte Jilly.
„Damit er denkt, ich sei verrückt?“ Rachel-Anns Lachen klang nur ein klein wenig hysterisch. „Die Geister spuken in diesem Haus und nicht etwa nur in meinem Kopf. Aber du brauchst keine Angst zu haben. Dich lassen sie ja aus irgendeinem Grund in Ruhe. Du solltest dankbar sein.“
„Vielleicht habe ich nur nicht genug Fantasie.“
„Vielleicht bist du einfach zu vernünftig“, sagte Rachel-Ann müde. Sie umarmte Jilly schnell, und das Zittern in ihren dünnen Armen war Mitleid erregend. „Bis morgen früh, Schatz. Aber nicht zu früh!“
„Ich kann gerne bei dir bleiben, bis …“
„Das brauchst du nicht“, sagte Rachel-Ann und klang plötzlich fast fröhlich. „Mir gehts gut.“
Jilly beobachtete, wie ihre Schwester durch die Halle ging und die Tür ihres Zimmers hinter sich abschloss. Unschlüssig blieb sie stehen. Sollte sie ihr folgen? Sie hatte Rachel-Anns Zimmer nicht mehr betreten, seit diese aus der Klinik zurückgekommen war, sie wäre sich schäbig vorgekommen, hätte sie dort nach leeren Flaschen oder Pillendosen gesucht. Rachel-Ann behauptete, einen Weg zu kennen, wie sie die Geister aus ihrem Zimmer fern halten konnte. Jilly hatte nicht die geringste Ahnung, was sie meinte. Und ob das auch helfen würde, ganz andere Dämonen zu vertreiben?
Sie wusste nicht, wie spät es war, wahrscheinlich schon nach elf. Wieder dachte sie darüber nach, was für ein schrecklicher Tag hinter ihr lag. Sie hatte überhaupt nichts erreicht, einen gescheiterten Besuch bei ihrem Vater hinter sich und Coltrane kennen gelernt. Darauf hätte sie gut und gerne verzichten können. Sie musste einen Weg finden, ihn entweder loszuwerden oder auf ihre Seite zu ziehen. Allerdings sah er nicht aus wie ein Mann, der auch nur im Geringsten daran interessiert war, anderen zu helfen, es sei denn, es war zu seinem eigenen Vorteil.
Jilly zog die Nadeln aus ihrem Haar und ließ es in einer schweren Welle auf ihren Rücken fallen. Sie würde sich morgen etwas einfallen lassen. Wenigstens heute Nacht konnte sie sich entspannen, ihre Schwester und ihr Bruder lagen sicher in ihren eigenen Betten, und Rachel-Anns Geister hatten keine Möglichkeit, in ihr Zimmer zu gelangen.
„Du hast ihr Angst gemacht.“ Brenda war verärgert. „Habe ich dir nicht immer wieder gesagt, dass dieses Mädchen sensibel ist? Das war sie schon immer, von Kindesbeinen an. Sie erinnert mich an mich selbst, als ich in ihrem Alter war.“
„Schätzchen, du bist gestorben, bevor du so alt wie sie werden konntest“, konterte Ted ein wenig taktlos. „Und du warst in etwa so zerbrechlich wie ein Elefant im Porzellanladen. Wenn du mich fragst, ist dieses Mädchen einfach zu schreckhaft.“
„Sie kann uns sehen.“
„Das können eine Menge Leute. Deswegen werden sie aber noch lange nicht zu verrückten Trunkenbolden“, sagte Ted. „Die meisten glauben, dass das Licht ihnen einen Streich spielt oder so.
Sie
ist die Einzige, die sich deshalb verrückt macht, und wenn sie endlich einmal aufhören würde, alles Mögliche nach uns zu schmeißen, würde sie auch bemerken, dass wir uns Sorgen um sie machen. Dass wir vollkommen harmlos sind!“
„Vollkommen“, murrte Brenda und küsste ihn. „Außerdem sollte sie nicht trinken. Wenn wir uns nicht gezeigt hätten, dann hätte sie das Glas ausgetrunken, statt es nach uns zu werfen.“
„Vielleicht. Vielleicht nicht.“ Ted zuckte mit den Schultern. „Sie hat sich schon öfter einen Drink eingeschenkt und ihn nicht ausgetrunken. Das spielt auch gar keine Rolle. Die Ärmste hat Angst vor uns, und leider können wir uns nicht mit ihr zusammensetzen und ihr alles erklären. Wir müssen ab jetzt etwas
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