Mitternachtsschatten
Schieferdach. Ein Glück, dass es hier so selten regnete. Es gab sieben Garagen, drei davon waren geschlossen, drei standen leer, und die Corvette stand in ihrer reinen Pracht in der letzten. Er parkte direkt dahinter. Niemand schien hier zu sein. Er steuerte sofort auf das rote Auto zu und berührte den schimmernden Lack wie ein zärtlicher Liebhaber. Er hatte ja immer geglaubt, sein Traumauto sei ein Gull Wing Mercedes oder vielleicht ein klassischer Jaguar XKE. Aber offenbar war er doch ein richtiger Amerikaner. Coltrane konnte nicht widerstehen. Er streckte seine Hand nach dem Türgriff aus, als er bemerkte, dass er nicht alleine war.
Mit schneidender Stimme sagte sie: „Ich habe Ihnen verboten, mein Auto zu fahren.“
Er ließ seine Hand auf dem Wagen liegen und fuhr mit seinen Fingerspitzen zärtlich hin und her, während Jilly ihn beobachtete. Dann drehte er sich um und schielte zu ihr hinüber. „Es freut mich, dass sie sich nicht extra meinetwegen hübsch gemacht haben“, sagte er. Sie trug Shorts und ein T-Shirt, und sein Blick wanderte an ihren langen Beinen entlang. Sie hatte offenbar keine Ahnung, wie aufregend er diese Beine fand, sonst würde sie sie ihm nicht immerzu zeigen. Es störte ihn nicht im Geringsten, dass die Shorts alt und ausgeleiert waren. Rachel-Ann, rief er sich selbst zur Ordnung, sie ist mein Ziel. Meyer interessiert es kein bisschen, was mit dieser Tochter hier geschieht.
„Tut mir Leid, aber ich habe es mir anders überlegt. Es gibt keinen Grund auszugehen, wir können die Situation genauso gut hier besprechen“, sagte sie kühl.
„Oder was halten Sie von McDonald’s? Fast Food zu Verhandlungen essen klingt spannend, ich bin ja kein Spielverderber. Vor allem, wenn wir im Auto essen. Und da könnte auch niemand sehen, wenn ich Sie ganz aus Versehen anfasse.“ Er wusste selbst nicht, warum er so etwas sagte, wahrscheinlich wieder nur, weil er sie auf die Palme bringen wollte.
„Ja, natürlich“, murmelte sie. Und dann: „Verhandlungen?“
„Darum gehts doch, oder etwa nicht? Sie wollen, dass ich Ihrem kleinen Bruder helfe, Daddys Liebe und Anerkennung zu gewinnen. Allerdings habe ich keine Ahnung, warum ich das tun sollte.“
Sie gab sich nicht einmal die Mühe, alles abzustreiten. „Vielleicht einfach, weil Sie ein gutes Herz haben?“
„Ich habe wenig Güte in mir, und schon gar kein Herz“, sagte er und zeigte ihr sein schönstes Lächeln.
Sie blinzelte; sehr gut. Er warnte Menschen gerne vor. Sie glaubten ihm zwar meistens nicht, aber später, wenn sie zurückschauten, geschlagen und verletzt, fiel ihnen auf, dass er ihnen schon vorher die Wahrheit gesagt hatte.
„Hören Sie auf mit diesem Unsinn“, sagte sie.
„Das ist kein Unsinn, sondern die Wahrheit.“
„Ich glaube kaum, dass sie die Wahrheit erkennen würden, selbst wenn sie Ihnen in den Hintern beißt.“
„Warten wir’s ab.“ Er trat widerwillig einen Schritt von der Corvette zurück. „Also, werden Sie mich jetzt durch das Anwesen führen? Und bitte erzählen Sie mir nicht wieder, dass ich eine Bustour buchen soll. Ich möchte das Haus aus der Perspektive der Bewohner kennen lernen. Oder besser, der derzeitigen Bewohner. Früher oder später wird sich schließlich Ihr Vater hier einnisten und sie alle rausschmeißen.“
„Ganz bestimmt nicht. Aber ich muss zugeben, dass Sie erstaunlich gut über die Besitzverhältnisse informiert sind“, sagte sie misstrauisch.
„Ich leite schließlich die Rechtsabteilung, nicht wahr? Ich werde dafür bezahlt, so etwas zu wissen.“ Verdammt, normalerweise machte er keine so dummen Fehler, er würde in Zukunft besser aufpassen müssen. Bei Jilly musste er vorsichtig sein, sie war viel aufmerksamer als ihr Bruder. „Wie auch immer, ich liebe die Hollywoodgeschichten“, lenkte er ab. „Ich mag auch alte Häuser. Ich habe Architektur studiert, bevor ich mich für Jura entschied.“
Sie schaute so ungläubig, dass es schon fast beleidigend war, allerdings brauchte es mehr, um ihn zu beleidigen. „Ich habe meinen Abschluss in Architektur in Princeton gemacht“, zischte sie warnend.
„Ich weiß.“ Er lächelte sie an. „Wollen Sie mein Wissen über Architektur testen? Sie scheinen ja davon überzeugt zu sein, dass ich Sie anlüge.“ Er breitete seine Arme aus. „Was Sie sehen, ist, was Sie kriegen.“
„Nicht, wenn ich es verhindern kann“, murrte sie. „Ich fürchte, Sie werden nicht eher gehen, bis ich Ihnen das Haus gezeigt
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