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Mitternachtsschatten

Mitternachtsschatten

Titel: Mitternachtsschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Stuart
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habe?“
    „Sehr scharfsinnig, wie immer. Übrigens freue ich mich schon darauf, Ihre Schwester kennen zu lernen.“ Es gefiel ihm, wie beiläufig das klang.
    „Warum?“
    „Ich bin einfach neugierig. Als der Anwalt Ihres Vaters habe ich alle Angelegenheiten geregelt, einschließlich Ihrer Scheidung, Deans Autounfällen und Rachel-Anns verschiedenen … Belangen.“
    „Ihre Neugier wird nicht befriedigt werden. Sie ist nicht zu Hause. Dean übrigens auch nicht.“
    „Dann sind wir ganz alleine? In dem Fall ist es gar keine schlechte Idee, hier zu bleiben.“
    Sie sah ihn ruhig an. „Kommt darauf an, wie Sie alleine definieren und ob sie an Geister glauben. Ich kann sie zwar nicht sehen, aber eine Menge anderer Leute schon. Auf jeden Fall sollten Sie vorsichtig sein, Geister sind bekanntermaßen sehr unberechenbar.“
    „Ich werde aufpassen“, sagte er. „Und jetzt erzählen sie mir etwas über diesen Ort. Geben Sie mir die bestmögliche Führung, und danach können wir uns unterhalten.“
    Sie wollte ihn loswerden, das machte sie überdeutlich, und er verstand immer noch nicht ganz, warum. Er war charmant gewesen, und sie verhielt sich eher wie ein Kaninchen vor der Schlange. Vielleicht war ihre Intuition doch ausgeprägter, als sie sich selbst zugestehen wollte, auch wenn sie keine Geister sehen konnte.
    Coltrane glaubte nicht an Geister. Als er jünger war, hatte er ein paar Mal versucht, mit seiner Mutter Kontakt aufzunehmen, aber sie war offenbar keine rastlose Seele. Sie schien ihren Frieden gefunden zu haben, unabhängig davon, wie grausam sie gestorben war. Er hingegen war die rastlose Seele, er suchte nach Antworten, nach Lösungen.
    „Na gut“, sagte sie endlich. „Kommen Sie mit. Ich werde wohl nicht um eine Führung herumkommen.“
    Er musste sich sehr zurückhalten, um nicht dauernd auf ihren aufregenden Hintern zu starren, und zwang sich stattdessen, auf den Weg zu schauen. Sie spulte ganz monoton einige Fakten herunter, und er verstaute alle Informationen ganz weit hinten in seinem Kopf, um sie eines Tages, wenn er sie wieder brauchte, hervorkramen zu können.
    Das Haus war erbaut durch die Gebrüder Greene, Stätte vieler aufregender Hollywood-Partys, Zeuge des berüchtigten Hughes-de-Lorillard-Selbstmord-Paktes, Heim einer herumstreifenden Gruppe Drogensüchtiger in den Sechzigern und Siebzigern … Sie erzählte nichts, was er nicht schon wusste. Dass ihr Vater gemeinsam mit den Hippies hier gelebt hatte, schien ihr allerdings nicht klar zu sein. Er achtete auf Widersprüche in ihren Äußerungen, konnte aber keine erkennen. Und dann bogen sie um die Ecke und standen am Fuße der ausladenden Terrasse.
    Er erstarrte. Ihre Worte waren nur noch ein bedeutungsloses Summen in seinem Kopf wie von einem ärgerlichen Insekt. Unkraut wucherte zwischen den Fliesen hervor, der Stuck hatte Risse und zeigte Spuren von Wasser. Es fehlten einige Dachziegel, und die Möbel auf der Terrasse waren rostig und heruntergekommen. Das Haus erinnerte ihn an eine Königin, die gezwungen war, als Prostituierte ihr Geld zu verdienen und auf der Straße zu leben, wo ihr Glanz immer mehr verblasste. Und auf einmal wusste er, dass seine Mutter nicht die einzige Coltrane gewesen war, die hier gelebt hatte.
    Ihm wurde bewusst, dass Jilly aufgehört hatte zu sprechen, und als er seinen Blick vom Haus wegriss, sah er, dass sie ihn neugierig anstarrte.
    „Was haben Sie denn erwartet?“ fragte sie. „Wir haben gerade genug Geld, um zu verhindern, dass das Haus völlig zusammenfällt. Ich weiß nicht, wie lange ich es noch erhalten kann.“
    „Bisher haben Sie nicht den Eindruck gemacht, dass Sie eine Niederlage eingestehen können.“ Er wunderte sich selbst darüber, wie ruhig seine Stimme klang.
    „Ich bin eine Realistin, Mr. Coltrane. Keine Närrin.“
    „Einfach nur Coltrane.“ Und sie war so wenig Realistin wie er ein Ministrant! Selten hatte er einen idealistischeren und blauäugigeren Menschen als sie kennen gelernt. Zumindest, wenn es um etwas ging, das sie liebte. Also alte Häuser im Allgemeinen und dieses alte Haus im Speziellen.
    „Lassen Sie uns reingehen.“ Er erwartete fast, dass sie sich weigern würde, aber nach kurzem Zögern nickte sie und führte ihn ins Haus. Er hätte sich auch nicht abweisen lassen, nicht, nachdem diese eiskalte Welle der Erkenntnis ihn erfasst hatte. Er selbst hatte hier gelebt! Man hatte ihn in dem Glauben gelassen, dass er ausschließlich in Indiana aufgewachsen war. Und

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