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Mitternachtsschatten

Mitternachtsschatten

Titel: Mitternachtsschatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Stuart
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Selbst so ein Geizhals wie ich hat seine Schwächen.“
    Rachel-Ann antwortete mit einem freudlosen Lächeln, und Jillys Herz zog sich zusammen. „Hör mal, warum gehen wir nicht hoch und schauen zusammen einen alten Film an, so wie früher? Irgendwas Romantisches mit Tränengarantie?“ fragte sie.
    „Ich glaube nicht, dass ich Lust habe zu heulen“, antwortete Rachel-Ann. „Und ich bin definitiv nicht in der Stimmung für Romantik.“ Sie erhob sich, dünn und anmutig wie immer, und Jilly versuchte, die Angst um ihre Schwester zu unterdrücken.
    „Kann ich irgendetwas für dich tun, Liebes?“
    Rachel-Ann schüttelte den Kopf und lief auf das Haus zu. Jilly lehnte sich gegen die Steinmauer und beobachtete, wie sie verschwand. Sie sah selbst aus wie ein Geist. Coltrane hatte in einem Recht – sie musste endlich lernen, dass ihre Geschwister alt genug waren, um selbst Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Aber war Rachel-Ann im Moment nicht so zerbrechlich, dass nur ein Ungeheuer ihr den Rücken zuwenden würde?
    Hallo, mein Name ist Jilly und ich bin co-abhängig. Und es bricht mir mein verdammtes Herz, dass ich nicht alles in Ordnung bringen kann.
    Rachel-Ann bewegte sich vorsichtig und hielt ihren Blick starr nach vorne gerichtet. Sie schaute nicht ein einziges Mal nach rechts oder links oder gar nach oben. Sie hatte die Geister von La Casa noch niemals richtig klar gesehen, es war immer nur eine Bewegung der Schatten, ein Wispern im Wind, eine Ahnung von Parfüm in der Luft oder der Geruch von türkischem Tabak in einem Haus voller Nichtraucher. Zwar war sie davon überzeugt, dass sie ihr nichts antun wollten, doch sie war zu sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt, um sich auch noch mit diesen Geistern auseinander zu setzen. Als Kind hatte sie die beiden manchmal ganz deutlich gesehen, ohne sich darüber zu wundern. Im Laufe der Jahre allerdings fiel es ihr immer schwerer, permanent von diesen blassen, durchscheinenden und mitleidigen Gesichtern beobachtet zu werden.
    Sie sind tot, sagte sie zu sich selbst. Einfach nur ein Produkt ihrer drogengeschädigten und überaktiven Einbildungskraft. Brenda de Lorillard und Ted Hughes lagen nun schon fünfzig Jahre unter der Erde und geisterten sicherlich nicht durchs Haus. Die letzten Schritte rannte sie geradezu, und kaum in ihrem Schlafzimmer angekommen, warf sie schon die Tür hinter sich ins Schloss, lehnte sich dagegen und versuchte die Panikschauer, die über ihren Rücken fuhren, zu kontrollieren. Wenigstens hier war sie sicher. Hierher kamen sie niemals, und dafür waren nicht einmal Knoblauchzehen oder ein Kruzifix nötig. Warum sie ihrem Schlafzimmer fernblieben, wusste sie nicht, aber das war ja auch egal. Sie atmete tief durch und genoss das beruhigende Gefühl von Sicherheit.
    Sie schaltete den Fernseher an, suchte nach ihrem Lieblingsprogramm, dem Wetterkanal, streifte die Kleider ab und legte sich auf das große Doppelbett. Jilly hatte ihr altes Bett entfernen lassen, während sie in der Klinik war. Gott sei Dank, denn daran hatten zu viele Erinnerungen gehangen, zu viele Männer. Und zu viel Blut. Sie blickte auf die Narben an ihren Handgelenken. Drei Mal hatte sie es versucht, man sollte meinen, sie hätte schließlich gelernt, es richtig zu machen. Ihr Vater hatte sie gebeten, sich die Narben operativ entfernen zu lassen, doch sie hatte das nicht zugelassen. Ein großer Sieg für sie, schließlich hatte sie es zuvor niemals gewagt, ihrem Vater etwas abzuschlagen. Doch sie mochte ihre Narben. Sie empfand sie nicht etwa als Zeichen ihrer Niederlage, sondern als ein Beweis, dass sie überlebt hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, ohne sie zu sein, hoffte aber auch, dass sie niemals an den Punkt käme, noch eine weitere hinzufügen zu wollen.
    Die Hurrikan-Saison war in vollem Gange, und die Moderatoren des Wetterkanals sprachen mit gedämpfter, ehrfurchtsvoller Stimme über die zerstörerische Gewalt des Wirbelsturms Darla. Was für ein idiotischer Name für einen Hurrikan, dachte Rachel-Ann. Sie lag auf ihrem Bett und betrachtete fasziniert die Bilder. Sie hatte zwar kein Bargeld, aber mit ihrer Kreditkarte konnte sie sich welches besorgen, in ein Flugzeug steigen und mitten in diesen Sturm hineinfliegen. Sie stellte sich vor, wie Wind und Regen um ihren Körper peitschten, das Meer anschwoll, und die gewaltigen Flutwellen alles verschlangen. Sie wollte dort sein, nackt, mit zum Himmel gereckten Armen, während der Sturm um sie herum

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