Mitternachtsschatten
„Und du siehst so aus, als hättest du für heute genug, Liebes. Warum bist du nicht vernünftig und gehst mal früh ins Bett?“
Rachel-Ann lächelte gezwungen. „Ich dachte eigentlich, dass ich ganz hübsch aussehe. Was meinen Sie, Coltrane?“ Ihre Stimme klang wie ein Schnurren, aber irgendwie unecht, nicht wie sonst.
Coltrane ließ nicht erkennen, was er dachte, und Jilly musste widerwillig zugeben, dass er sehr gut darin war. Nichts forderte Rachel-Ann mehr heraus als Gleichgültigkeit. „Sie sehen großartig aus“, sagte er leichthin, während er noch immer Roofus streichelte.
Jilly griff nach diesem Strohhalm. „Ich jedenfalls bin ziemlich erschöpft. Komm schon, Roofus, Schlafenszeit.“ Sie schnippte mit den Fingern, und eine schreckliche Sekunde lang rührte sich der Hund nicht von der Stelle. Dann tapste er langsam in ihre Richtung, nicht, ohne sich zu Coltrane umzublicken, als hoffte er, dass er ihnen folgen würde. Coltrane blieb am Tisch sitzen, offenbar sehr entspannt, und beobachtete Rachel-Ann mit seinen von den Lidern halb verdeckten Augen. Dean fing wieder an zu plaudern und schien nichts von der Spannung um ihn herum wahrgenommen zu haben.
Jilly flüchtete.
7. KAPITEL
E s war schon sehr spät, als Coltrane endlich zurück in sein tatsächlich sehr feuchtes Zimmer im hinteren Teil des Hauses zurückkehrte. Als er an Jillys Zimmer vorbeiging, stellte er sich vor, wie sie in ihrem kitschigen Bett lag. Vermutlich trug sie kein durchsichtiges Negligee wie die berühmte Schauspielerin, die einmal hier gelebt hatte, sondern ein einfaches T-Shirt. Und bestimmt lag sie wie ein Baby zusammengerollt da, die Arme um ihren Körper geschlungen, um sich vor den überall lauernden Gefahren zu schützen.
Rachel-Anns Zimmer befand sich genau daneben, und auch hier war kein Ton zu hören. Das lag allerdings daran, dass sie das Haus verlassen hatte, nachdem Jilly zu Bett gegangen war. Natürlich wusste er, dass sie lieber alleine ausgehen wollte, auch wenn sie mit ihm so nervös kokettiert hatte. Vielleicht ahnte sie ja die Wahrheit, die er so unerwartet und mit einem Schlag erkannt hatte. Wahrscheinlich jedoch nicht. Sie hatte ja keinen Grund, auf so einen Gedanken zu kommen! Aber sie war davongelaufen, ganz instinktiv.
Er schloss die Tür hinter sich und knipste das Licht an. In dem Zimmer gab es zwei Fenster und eine Tür zum Balkon, der an der ganzen Rückwand des Hauses entlangführte. Die an manchen Stellen ausgebleichten Tapeten waren in düsterem Grün gehalten. Das erinnerte ihn an Algen, und er hasste Algen.
Die hässlichen Wasserstreifen, die vom undichten Dach herrührten, verstärkten sein Gefühl, unter Wasser gefangen zu sein. Das Bett war eine einzige Zumutung. Er zog einfach die Matratze herunter und legte sie auf den Boden, dann lehnte er den alten Bettkasten und den Lattenrost gegen die Wand und öffnete die Fenster, damit die milde Nachtluft den modrigen Geruch vertreiben konnte. Links führte eine Tür in ein Badezimmer. Die Toilette funktionierte, aber das Waschbecken und die Wanne waren wahrscheinlich nicht mehr zu reparieren. Er könnte das Bad ja mit den Mädchen teilen, hatte Dean vorgeschlagen. Oder zu ihm runterkommen und sein palastartiges Badezimmer benutzen. Und alles andere auch, versteht sich. Nicht sehr wahrscheinlich, dachte Coltrane.
Er musste seinen Plan also ändern. Nun konnte er keine Affäre mehr mit Rachel-Ann anfangen, um an Meyer ranzukommen. Andererseits gab es ja noch eine mindestens genauso angenehme Alternative. Ihre Schwester, die ja bereits sehr empfänglich war, ob sie es sich selbst eingestand oder nicht. Mit den Gewissensbissen, die sich leise meldeten, wollte er seine Zeit nicht verschwenden.
Er lehnte sich gegen die Mauer und betrachtete das Zimmer. Wo der zerschlissene Teppich endete, blickte der Marmorboden hervor. Er war gesprungen und völlig verschmutzt, doch immerhin aus Marmor. Also eiskalt am Morgen, aber wenigstens hatte seine Matratze so einen harten Untergrund. Er dachte über seine Kleider nach. Fast alle waren bei dem Brand zerstört worden, und mit einer gewissen Genugtuung hatte er sich neue besorgt. Weil er den Geruch von Mottenkugeln hasste, hatte er das Feuer in seinem Kleiderschrank gelegt, und der war völlig abgebrannt, bevor die Feuerwehr eintraf.
Es war nicht schwierig, einen Brand zu verursachen, zumal er ja ein großes Talent in solchen Dingen hatte. Schon lange zuvor hatte er ausgekundschaftet, wer die heimlichen
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