Mitternachtsstimmen
Seite der Decke als Ganzes anheben.
Aber das war keine solide Decke – sondern eine Falltür!
Eine Falltür, die, wenn geschlossen, absolut unsichtbar und
zugenagelt worden war.
Wie lange schon?
Und wer außer Ryan wusste davon?
Am wichtigsten aber war die Frage, wohin sie führte, und zu
welchem Zweck?
Frank Oberholzer, mit Maria Hernandez im Schlepptau – nur
weil ihr Chef darauf bestanden hatte – starrte finster auf die
Fassade des Rockwell, während er auf eine Lücke im Verkehr
wartete. An diesem Gebäude war nichts, aber auch gar nichts,
was ihm gefiel – nicht die verschnörkelte Architektur, oder die
düstere Eingangshalle, und schon gar nicht diese Todesfalle
von Aufzug.
Ganz zu schweigen von dem Portier, der hinter dem
Schreibtisch in seinem Kabuff kauerte wie eines dieser
Monster, die den Eingang zur Hölle bewachten.
Ihm war völlig schleierhaft, wie man in diesem alten
Gemäuer leben konnte – und ausgerechnet Caroline EvansFleming?
Das konnte freilich bloßer Zufall sein, doch andererseits
hatte seine jahrelange Erfahrung ihn gelehrt, dass Zufälle in
Mordfällen äußerst selten vorkamen. Außer man rechnete das,
was Brad Evans zugestoßen war – zur falschen Zeit am
falschen Ort gewesen zu sein – dem Zufall zu, was Oberholzer
bis zu diesem Morgen beinahe noch getan hätte. Dann war er
die Brad-Akte jedoch noch einmal gründlich durchgegangen,
was nicht viel Zeit beansprucht hatte, da sie überwiegend
Notizen zu Befragungen enthielt, die nirgendwohin geführt
hatten. Doch die Interviews hatten ihn ohnehin nicht
interessiert; nein, es war dieser nagende Gedanke gewesen, der
ihn gestern bis nach Mitternacht wach gehalten hatte, etwas,
was gewöhnlich nur sein Sodbrennen schaffte. Und dieser
Gedanke war um die Art und Weise gekreist, wie Brad Evans
umgekommen war. Als er dann am Morgen in sein Büro
gekommen war, hatte er sich als Erstes den pathologischen
Befund von Caroline Flemings erstem Ehemann kommen
lassen.
Genickbruch. Angriff von hinten, linker Arm um den Hals
geschlungen, unmittelbar gefolgt von einem harten Stoß der
rechten Hand des Angreifers gegen den Kopf des Opfers.
So jedenfalls hatte der Gerichtsmediziner den Tathergang
rekonstruiert, was sich ziemlich genau mit dem des Mordes an
Andrea Costanza deckte.
Die eine gute Freundin von Caroline Evans-Fleming war.
Die wiederum jetzt im Rockwell wohnte – in dem gleichen
Haus, in dem auch die Person lebte, die Andrea Costanza
zuletzt lebend gesehen hatte. Diese Punkte in Verbindung mit
der Tatsache, dass weder er noch Hernandez den kleinsten
Hinweis auf einen festen Freund im Leben der Costanza hatten
ausfindig machen können, brachte Oberholzer dazu, sich nicht
nur Dr. Theodore Humphries noch einmal genauer vorzunehmen, sondern auch all die anderen, die in diesem seltsamen
Haus lebten.
Als er jetzt vor diesem Gebäude stand, begann sich seine
Magensäure zu regen – Tatsache war nämlich, dass er nicht
besonders scharf darauf war, mit Leuten zu reden, die in
solchen Häusern residierten. Benahmen sie sich doch oft so, als
entbinde sie ihre Adresse von dem notwendigen Übel, mit
solch gewöhnlichen Menschen wie Cops und Detectives zu
sprechen. Auf der anderen Seite hatte Caroline Evans damals
ganz und gar nicht so reagiert. Im Gegenteil, sie war immer
über die Maßen hilfsbereit gewesen und hatte Stunden damit
zugebracht, ihm mehr von ihrem Ehemann zu erzählen als
wirklich notwenig gewesen wäre. Aber das war in Ordnung
gewesen – sie hatte offenbar mit jemandem darüber reden
müssen, und er war schon immer ein guter Zuhörer gewesen.
Ein guter Zuhörer und Beobachter. Was seiner Meinung nach
die Grundvoraussetzungen für einen Kriminalisten waren: Er
musste so lange zuhören und beobachten, bis er entweder hörte
oder sah, was Sache war. Und an diesem Morgen würde er
Caroline Evans sehr, sehr aufmerksam zuhören und gleichzeitig genau beobachten, denn diese Frau schien der einzige
gemeinsame Nenner der beiden Verbrechen zu sein.
Nun musste er nur noch alles zusammenfügen.
Ein kurzer Blick auf seine Uhr sagte ihm, dass es zwei
Minuten vor neun war, was bedeutete, dass Caroline Flemings
Kinder – Ryan und Laurie, deren Namen ihm aus den Akten
ihres Vaters noch geläufig waren – bereits in der Schule waren,
und ihr Gatte ins Büro gegangen war, vorausgesetzt, er besaß
ein Büro; eine Vermutung, die der Detective nicht so ohne
weiteres anstellen wollte. Wenn
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