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Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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von der Stelle, starrte unentwegt
den leblosen Körper ihres toten Frauchens an. Schließlich stand
die kleine Hündin auf und trottete zum Sofa. Dort stützte sie
sich mit den Pfoten ab und leckte Andreas Hand. Dann sprang
sie hoch und leckte ihr das Gesicht. Als Chloe irgendwann
erschöpft war von ihren unermüdlichen Versuchen, ihr
Frauchen aufzuwecken, legte sie sich dicht neben Andreas
Leichnam, ringelte sich ein und fiel in einen unruhigen Schlaf.
In der darunter liegenden Etage ging die Party weiter;
niemand hatte etwas gehört oder gesehen.

18. Kapitel
    Tony Fleming wusste, dass die Zeit nahte – er spürte das
Verlangen mit jeder Zelle seines Körpers. Es war eine seltsame
Art von Hunger, der sich nicht auf seinen Magen beschränkte,
sondern in jedem Teil seines Körpers wütete, an seinem
Bewusstsein fraß, seine Seele verzehrte.
    Die Seele, die er, wie er sicher zu wissen glaubte, nicht
besaß.
Er verschloss sich vor diesem Gedanken, konzentrierte sich
voll auf Caroline neben ihm im Bett. Sie hatten sich vor einer
Stunde geliebt, und obwohl er sich schwach fühlte und von
diesem unstillbaren Drang abgelenkt war, hatte er all das vor
Caroline verborgen gehalten und sie so liebevoll befriedigt wie
in jener ersten Nacht auf Mustique, als sie sich aus dem Haus
an den Strand geschlichen hatten. Es war Ebbe gewesen, und
sie hatten sich zwischen den Kokospalmen in den Sand gelegt.
Anfangs hatte Caroline sich wegen der Kinder gesorgt und ihn
gebeten, doch in das kleine Strandhaus zu gehen, doch der
Vollmond und der Zauber seiner Liebkosungen hatten ihre
Bedenken rasch zerstreut. Heute hatte er sich wieder so uneigennützig um sie bemüht. Caroline hatte sich stöhnend unter
seinen Berührungen gewunden, ihm ihren Körper entgegen
gewölbt und wimmernd um Erlösung gefleht, bis er sie zum
Orgasmus gebracht hatte. Dann, als das heftige Verlangen in
ihm gebrodelt hatte, war sie eingeschlafen, ihr hektisches
Atmen war zu einem gleichmäßigen Rhythmus verebbt, der ihn
eigentlich auch hätte einschläfern müssen.
Doch der Schlaf war ihm nicht vergönnt – noch nicht. So lag
er im Dunkeln und wartete darauf, dass die Uhr auf seinem
Nachttisch Mitternacht schlug. Es war eine wunderschöne Uhr
– ein antiker Kristall-Regulator, so perfekt erhalten, dass das
Messing wie Gold schimmerte und das Laufwerk nur zweimal
im Jahr nachgestellt werden musste, im Frühjahr und im
Herbst. Ihr Ticken war kaum zu hören, und wenn das
Hämmerchen auf die Glocke schlug, huschte der Klang durch
die Nacht, leise und verstohlen wie ein Dieb.
Nur wenn man genau hinhorchte, war das Läuten überhaupt
zu hören.
Dann endlich war es so weit: Die Glocke schlug einmal,
zweimal, dann noch zehn Mal, und Anthony Fleming erhob
sich, beugte sich so nahe über seine Frau, dass er ihren Atem
auf seinen Lippen spüren konnte, und bewegte sich durch die
vertraute Dunkelheit seines Schlafzimmers ins angrenzende
Badezimmer. Nachdem er die Tür leise hinter sich verriegelt
hatte, schaltete er das Licht an und betrachtete sich in dem
großen Spiegel, der die ganze Rückseite der Badezimmertür
einnahm.
Sein Körper wirkte immer noch kräftig – mit den breiten
Schultern und dem schlanken Oberkörper, der nicht den
geringsten Bauchansatz erkennen ließ. Eine dicke Matte
schwarzer gekräuselter Haare bedeckte seine Brust, darunter
ein paar vereinzelte graue Haare, genau wie auf seinem Kopf,
doch abgesehen von diesen ersten grauen Strähnen wirkte er
um einiges jünger als er tatsächlich war. Obgleich er unter dem
harten Licht im Badezimmer sehr viel deutlicher erkannte, dass
der Zahn der Zeit auch vor ihm nicht Halt machte.
Die frische Sonnenbräune von Mustique konnte die
Altersflecken auf seinen Handrücken und den Unterarmen
nicht ganz abdecken. Seine Haut begann an Elastizität zu
verlieren: Das erkannte er an dem feinen Gitterwerk, das sich
ganz allmählich an seinem Hals bildete, und die Venen an
seinen Beinen traten leicht hervor. Bald würde sein Haar
schütter werden, die Muskeln ihre Spannung verlieren, und
seine Augen immer tiefer in die Höhlen sinken. Dann würde er
genauso aussehen wie seine Nachbarn, seine Jugend dahinwelken und einen lebenden Leichnam zurücklassen, der von
innen heraus verrottete. Würde ihn zuerst sein Augenlicht im
Stich lassen wie Helena Kensington? Oder würden seine
Muskeln so weit verkümmern, dass er nicht mehr würde laufen
können, wie Lavinia

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