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Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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hinterherlaufen wollte, doch wieder, wie
vorhin in der Küche, hielt Tony sie zurück.
»Ich kläre das mit ihm«, sagte er ganz ruhig. »Wie es
aussieht, bin ich derjenige, mit dem er ein Problem hat, daher
sollte auch ich derjenige sein, der mit ihm redet.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ er das Speisezimmer, lief die Treppe hinauf, blieb vor Ryans Zimmertür
stehen und klopfte leise an.
Keine Antwort.
Er klopfte lauter. »Darf ich reinkommen?«
Ein einziges Wort drang durch die dicke Holztür: »Nein!«
Tony drehte am Türknopf, stellte fest, dass abgeschlossen
war, und griff in seine Jackentasche. Kurz darauf schloss er die
Tür von außen auf, trat ins Zimmer und schob die Tür leise
hinter sich zu.
Ryan hockte auf dem Bett und funkelte Tony wütend an.
»Das ist mein Zimmer«, sagte er. »Du darfst hier nicht einfach
reinkommen.«
Tony ging langsam auf das Bett zu. »Das mag ja dein
Zimmer sein, aber dieses Zimmer gehört zu meiner Wohnung,
und in meiner Wohnung entscheide ich, wohin ich gehe.« Er
fixierte Ryan mit einem strengen Blick, und seine Stimme
wurde eine Spur schärfer. »Dein Vater hat dir vielleicht
erlaubt, dich so zu benehmen, aber ich dulde das nicht.«
»Ich muss nicht machen, was du sagst«, begehrte Ryan auf,
doch das Zittern in seiner Stimme verriet die Angst, die
plötzlich in ihm hochstieg.
Tony Fleming setzte sich zu Ryan aufs Bett und legte dem
Jungen seine Hand schwer auf die Schulter. »Du und ich«,
begann er so leise, dass Ryan angestrengt zuhören musste, um
ihn zu verstehen, »können gut miteinander auskommen. Ich
mag dich, Ryan. Ich mag dich wirklich.« Seine Finger
schlossen sich fester um seine Schulter, so wie zuvor um sein
Handgelenk. Seine Stimme wurde noch leiser, und sein Blick
nagelte den Jungen förmlich fest. »Aber es passt mir nicht, wie
du dich benimmst. Der Ton, in dem du mit mir oder deiner
Mutter sprichst, gefällt mir überhaupt nicht.«
»Ich muss nicht –« Doch ehe er seinen Satz zu Ende
sprechen konnte, hatten sich Tonys Finger so fest in seine
Schulter gebohrt, dass nur ein unterdrückter Schmerzenslaut
seine Lippen verließ.
»Du wirst genau das tun, was ich dir sage«, schärfte Tony
ihm ein. »Ob es dir nun passt oder nicht, ich bin dein
Stiefvater, und du lebst in meiner Wohnung. Du kannst daraus
für dich etwas Gutes machen, oder etwas Schlechtes. Aber du
wirst nichts tun – oder sagen – das deine Mutter vor den Kopf
stößt. Ist das klar?«
Ein Schauer durchfuhr Ryan, als er seinem Stiefvater in die
Augen sah. Sie waren plötzlich völlig ausdruckslos, irgendwie
leer, und diese Leere jagte ihm mehr Angst ein als alles, was
Anthony Fleming eben zu ihm gesagt hatte. Er nickte stumm.
»Gut.« Tony nahm seine Hand von Ryans Schulter. »Dann
lass uns jetzt wieder nach unten gehen und unser Abendessen
genießen.«
Ryan, der begriffen hatte, dass das kein Vorschlag war,
sondern ein Befehl, krabbelte von seinem Bett und folgte Tony
Fleming zurück ins Speisezimmer. Aber den restlichen Abend
sagte er kein Wort mehr.
    »Hast du ein gutes Gespräch mit Tony gehabt?«, erkundigte
sich Caroline, als sie Stunden später in Ryans Zimmer kam, um
ihm Gute Nacht zu sagen.
    Ryan wollte ihr genau schildern, was passiert war, ihr die
Stelle zeigen, wo Tonys Finger sich in seine Schulter gebohrt
hatten, doch als er an den seltsam toten Blick von Tonys Augen
dachte, wusste er, dass er seiner Mutter nichts erzählen würde.
»Ja«, flüsterte er. »War ganz okay.«
     
»Dann ist es ja gut«, meinte Caroline und gab ihm einen
    Kuss
auf die Stirn.
Das Licht ging aus.
Seine Mutter verließ das Zimmer.
Und Ryan blieb allein in der Dunkelheit zurück und wusste
genau, dass überhaupt nichts gut war.

17. Kapitel
    Der Mann auf der anderen Straßenseite von Andrea Costanzas
Wohnhaus war in dem unbeleuchteten Eingang der Eisenwarenhandlung, die seit Stunden geschlossen hatte, kaum zu
sehen. Vor den Fenstern des kleinen Ladens waren die Rollläden heruntergelassen, und die Tür wurde von einem eisernen
Scherengitter mit einem schweren Vorhängeschloss geschützt.
Auf der Straße regte sich nichts – in der letzten Viertelstunde
war kein einziger Fußgänger vorbeigekommen. Ein Taxi hatte
seinen Gast drei Türen weiter abgesetzt. Mehrmals hatte der
Mann den Eingang verlassen, war den Gehsteig hinauf und
hinab gelaufen und hatte das Gebäude aus jedem Blickwinkel
gemustert.
    Ein altes Gebäude, acht Stockwerke hoch.
Kein

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