Mitternachtsstimmen
ein. »Wenn
der Hund abhaut –«
»Der haut nicht ab«, beschied ihm Oberholzer. »Kommen
Sie, bringen wir es hinter uns. Je schneller wir fertig sind, desto
schneller vergessen Sie, dass ich hier war.«
Achselzuckend führte der Hausmeister ihn zum Aufzug und
drückte den Knopf für den fünften Stock. »Sie werden nix
finden«, beteuerte er wieder. »Ich führe ein ruhiges Haus, und
hier gibt es keine Probleme. Keine Vergewaltigungen, keine
Einbrüche, nix. Alles coole Leute, die sich um ihr’n eigenen
Kram kümmern.«
Die Tür öffnete sich in der fünften Etage, und die beiden
Männer traten hinaus auf den Flur. Kurz darauf klingelte der
Hausmeister an Andrea Costanzas Wohnungstür Sturm, dann
klopfte er laut. »Sehen’se? Was hab ich gesagt? Niemand zu
Hause.«
Ohne den Hausmeister zu beachten, lauschte Oberholzer
angestrengt einem leisen Geräusch auf der anderen Seite der
Tür.
Ein Laut, als winselte ein Hund.
»Wie kommt es dann, dass der Hund winselt anstatt zu
bellen?«
Nicht ohne vorher einen genervten Seufzer auszustoßen,
steckte der Hausmeister schließlich den Generalschlüssel ins
Schloss, drehte ihn um und stieß die Tür auf.
»Oh, verdammte Scheiße«, japste er im nächsten Moment.
»Heiliger Herr im Himmel.«
21. Kapitel
Ryan hatte das Nachhausegehen so lange wie möglich
hinausgezögert, sich nach Schulschluss noch irgendwie
herumgedrückt, denn seine Freunde waren in den Park zum
Fußballspielen gegangen. Sie hatten ihn freilich gefragt, ob er
mitkommen wolle, und obwohl er nichts lieber getan hätte,
waren ihm die Worte seiner Mutter nur allzu präsent: »Ich will
nicht, dass du ohne mich in den Park gehst. Niemals.« Beinahe
wäre er trotzdem mitgegangen, doch dann erinnerte er sich an
das Gesicht seiner Mutter nach dem Tod seines Vaters. Also
hatte er sich eine Entschuldigung ausgedacht und seinen
Freunden nachgeschaut, wie sie Richtung Park losmarschiert
waren. Danach ging er noch in die Bibliothek und arbeitete an
seinen Hausaufgaben, bis die Bibliothekarin ihn hinaus
komplimentierte. »Es ist Zeit abzuschließen. Außerdem ist es
draußen so schön, da solltest du mit deinen Freunden schon
längst im Park sein.« Und jetzt stand er gegenüber vom
Rockwell und wünschte, er würde sich nicht so fürchten.
Immer wieder hatte er versucht sich einzureden, dass keine
der unheimlichen Geschichten, die über das Rockwell
kursierten, wahr waren, und trotzdem spukten sie ihm
permanent im Kopf herum. Aber den ganzen Nachmittag hier
auf dem Bürgersteig herumstehen, das ging ja auch nicht.
Außerdem sollte Laurie inzwischen zu Hause sein, und oben in
der Wohnung würde er sich dann nicht mehr fürchten.
Nachdem er in seiner Tasche nach den Schlüsseln gekramt und
tief Luft geholt hatte, ging er über die Straße und zog rasch die
schwere Eingangstür auf, bevor er noch die Nerven verlieren
würde.
Durch die Glasscheiben der inneren Tür sah er, dass das
Foyer bis auf Rodney leer war. War das nun ein gutes oder ein
schlechtes Zeichen?, fragte er sich. Doch ehe er noch eine
Antwort darauf fand, war Rodney bereits aus seiner Loge
gekommen und ging auf die Tür zu.
Genauer gesagt auf ihn!
Ryan spürte, wie sein Herz zu rasen begann, und wollte sich
gerade umdrehen und nach draußen rennen, als Rodney die
innere Tür öffnete und ihn hereinwinkte. »Na, du kommst aber
spät von der Schule heim, junger Mann. Ich hoffe, du hast
keinen Ärger gehabt.«
Ryan, der standhaft versuchte, sich seine Angst nicht
anmerken zu lassen, schüttelte den Kopf, drückte sich um
Rodney herum und ging auf die Treppe zu. Am liebsten wäre
er gerannt, konnte sich aber gerade noch beherrschen. Doch als
er den Fuß auf die erste Stufe setzen wollte, spürte er Rodneys
Hand auf seiner Schulter.
Und erstarrte.
Was wollte der Portier von ihm? Was hatte er mit ihm vor?
Rodney sah zu ihm herab, und plötzlich hatte Ryan das
ungute Gefühl, als schaute er direkt in ihn hinein. »Ist etwas?«,
fragte ihn der Portier.
Ryan hielt kurz die Luft an, dann schüttelte er den Kopf.
»Bist du sicher?«, drängte Rodney. »Du hast doch nicht etwa
Angst vor mir, oder?«
Ryans Augen weiteten sich ein wenig, doch er schüttelte
tapfer den Kopf.
Als Rodney sich daraufhin zu ihm herabbeugte, wurde seine
Hand auf Ryans Schulter schwer wie ein Felsbrocken, und
seine Stimme senkte sich zu einem gehauchten Flüstern.
»Doch, hast du schon«, raunte er. »Das rieche ich.«
Ryan glaubte,
Weitere Kostenlose Bücher