Mittsommersehnsucht
drückte ihre Hände ein wenig fester. »Wir werden noch ein wenig abwarten und schauen, wie es dir in den nächsten Tagen geht.« Er tastete kurz nach dem Verband an ihrer linken Schläfe. »Die Wunde verheilt gut. Oder hast du noch Schmerzen?«
»Kaul noch.«
Er nickte, beobachtete sie aber genau. »Und sonst? Keine Beschwerden?«
»Nein. Alles lut.«
Dr. Treborg hob kurz die Augenbrauen. Sein Verdacht, dass sich bei der jungen Kollegin eine Hirnblutung eingestellt hatte, die leicht aufs Sprachzentrum drückte, bestätigte sich.
»Ich denke, eine Druckentlastung durch eine Trepanation wäre angebracht«, erklärte er. »Aber das hat noch ein wenig Zeit.«
Andrea presste die Lippen so fest zusammen, dass sie nur noch eine schmale Linie bildeten. Die Vorstellung, dass man ihren Schädel öffnete, war alles andere als angenehm.
»Ich möchte noch darüber … nachdillen.«
»Natürlich, denk in Ruhe nach.« Der Neurologe sah kurz zur Uhr. »Sorry, ich muss in den OP . Wir sehen uns heute Abend wieder. Gute Besserung, Kollegin.«
Dr. Treborg hatte die Tür noch nicht erreicht, als es kurz klopfte. Im nächsten Moment kam Magnus ins Zimmer gestürmt.
»Mein Liebling!« Er beugte sich über Andrea und küsste sie behutsam. »Was machst du nur für Sachen! Ich hatte ja keine Ahnung, was passiert ist.«
Andrea, die bisher so tapfer alles ertragen hatte, begann leise zu weinen. Magnus spürte das Nass an seiner Wange. Er zog Andrea fester an sich, und nun ließ sie ihren Tränen freien Lauf.
»Armer Liebling.« Er küsste ihre Augen, bis die letzte Träne versiegt war. »Ich werde dich nie mehr allein lassen.«
»Eine schöne Vorstellung.« Andrea hatte sich wieder gefangen. Der Druck, der seit dem tragischen Geschehen auf ihr gelastet hatte, war gewichen. »Ich glaube aber nicht, dass ich das möchte.«
»Wie bitte?« Magnus schob sie ein wenig von sich. Dann sah er das amüsierte Funkeln in ihren Augen und atmete erleichtert auf. »Du kannst schon wieder Scherze machen. Himmel, bin ich froh!«
»Unhang. Das ist reine Überlebensstrategie.«
»Meinetwegen nenn es so. Aber ich schwöre dir: Ich werde auf dich aufpassen wie ein Löwe auf sein Rudel.«
»Also willst du mich klonen.«
»Andrea, sei doch mal ernst!«
»Bin ich ja.« Sie legte ihm die linke Hand an die Wange. »Ich bin nur so froh, dass du bei mir bist … gerade jetzt.«
»Das war doch selbstverständlich! Wir sind so rasch wie möglich losgefahren.« Er küsste ihre Fingerspitzen. »Ich soll dich von der ganzen Mannschaft grüßen und gute Besserung wünschen.« Forschend sah er sie an. Was stimmte nicht mit Andrea? Auf den ersten Blick wirkte sie ganz normal, doch ihm war aufgefallen, dass sie einige Worte falsch aussprach. War das eine Folge des Sturzes, der Gehirnerschütterung?
»Danke.« Sie lehnte sich zurück und hielt Magnus’ Hand fest umklammert, als sie ihm erzählte, was die Computertomografie ergeben hatte. »Sie wollen eventuell operieren.«
»Wann?«
»Irgendwann in den niehte Tagen.« Sie hob die Hand und zog ihn zu sich. »Heite Sorge.«
»Aber … das ist doch gefährlich!«
»Was ist schon ungefährlich im Leben.« Andrea räusperte sich, dann sah sie an ihm vorbei in den Himmel, der sich draußen vor dem Klinikfenster in hellem Blau erstreckte. Nur eine einzige kleine Wolke, von einem roten Rand umgeben, segelte vorbei. Es war eine fast runde Wolke, an der rechts und links zwei längliche Streifen hingen – so wie die Bänder an Kims rotem Mützchen, ging es Andrea durch den Sinn.
»Ich bin müde.« Ihre Stimme brach, und nach einem letzten Blick zur Wolke hin schloss sie die Augen.
Magnus beugte sich über sie. »Dann schlaf, Liebes. Ich versuche mal mit deinem behandelnden Arzt zu reden. Das darf ich doch, nicht wahr?«
Er erhielt keine Antwort mehr, Andrea schien von einer Sekunde zur anderen eingeschlafen zu sein. Sanft löste er seine Finger aus ihrer Hand.
Draußen auf dem Klinikflur war es still, nur zwei junge Schwestern gingen an ihm vorbei. Sie waren so intensiv in ihr Gespräch vertieft, dass sie ihn gar nicht bemerkten.
Suchend ging Magnus von Tür zu Tür, bis er das Zimmer des Stationsarztes fand.
Einige Meter hinter ihm öffnete zur gleichen Zeit der alte Ole die Tür zu Andreas Zimmer. Still trat er an ihr Bett, rollte das weiße Fell aus und strich es glatt, ehe er die junge Frau im Krankenbett behutsam weckte.
»Doktor Andrea! Hörst du mich?« Er bekam keine Antwort, und so drückte er
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