Mittsommersehnsucht
aber … das … das hab ich nicht gewusst.«
»Warst du denn noch nicht bei einem Gynäkologen?«
Ein knappes Kopfschütteln war die Antwort.
Eindringlich sah Andrea die weizenblonde Ellen an. »Du musst dich unbedingt von einem Frauenarzt untersuchen lassen. Fahr in die Klinik, es ist wichtig.«
»Keine Zeit«, wehrte Ellen ab. »Die Tiere müssen versorgt werden, und mein Mann ist mit einem Walfänger unterwegs. Es dauert noch mindestens zwei Wochen, ehe er zurück ist.«
»Tu dir selbst den Gefallen und such einen Facharzt auf. Es gibt doch in der Klinik bestimmt einen Gynäkologen. Bitte.« Andrea zögerte, dann fügte sie hinzu: »Ich bin bald fort, und wann Dr. Ecklund wieder gesund ist, kann noch niemand sagen.«
»Mal sehen. Erst mal schönen Dank, Frau Doktor.« Ellen setzte sich wieder auf und strich sich die Haare aus der Stirn. »Wenn mit dem Baby alles okay ist, bin ich beruhigt.«
»Mit den beiden Babys«, korrigierte Andrea. »Vergiss nicht, dass du jetzt für zwei kleine Lebewesen die Verantwortung trägst.«
»Ich vergesse es nicht.« Ellen lächelte ein wenig verkrampft. Sie schien mit der Situation überfordert, doch Andrea sah keine Möglichkeit, ihr zu helfen. Sie nahm sich aber vor, mit Birgit zu reden. Die kannte Gott und die Welt, sicher wusste sie einen Rat.
Es regnete wieder einmal, als Holger sie zurückbrachte. Vor dem Haus standen zwei Wagen, am Zaun lehnte ein altersschwaches Fahrrad – also waren Patienten im Wartezimmer. Doch bevor sie mit der Sprechstunde begann, ging Andrea in den Nebentrakt, wo Magnus aufrecht im Bett saß und an seinem Laptop arbeitete.
»Du solltest dich nicht überanstrengen.«
»Keine Sorge, ich habe nur ein paar Daten überprüft.« Er begleitete die Worte – die eine glatte Lüge waren, wie Andrea und er wussten – mit einem Augenzwinkern.
»Du bist unmöglich, Magnus!«
»Ich weiß. Das sagst du mir jedes Mal, wenn du hereinkommst.«
»Ich bin schließlich deine Ärztin. Und ich bin verantwortlich dafür, dass du dich erholst.«
»Dazu könntest du noch viel mehr tun.«
Es war wie verhext, er schaffte es tatsächlich, Andrea in Verlegenheit zu bringen. Im ersten Impuls wollte sie das kleine Krankenzimmer wieder verlassen, doch dann blieb sie und kontrollierte schweigend seinen Puls.
»Er ist erhöht, stimmt’s?«
»Nein.«
»Das kann nicht sein! Er muss stark erhöht sein in deiner Nähe.«
»Hör mit dem Unsinn auf. Morgen kannst du übrigens nach Hause.«
»Morgen schon?« Das klang bedauernd.
»Du konntest es doch kaum erwarten, wieder in dein Labor zu kommen.«
»Ja, schon …« Zum ersten Mal, seit sie ihn kannte, wirkte Magnus irritiert und unsicher. Doch das dauerte nur Sekunden.
»Na gut, dann ist morgen mein letzter Tag als dein Patient.« Er grinste sie an, es war wieder dieses jungenhaft-charmante Lächeln, das sie so mochte, auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte. »Dann können wir ja am Abend was zusammen trinken gehen. Kennst du schon das Rica Hotell Svolvær? Es liegt in Svolvær ganz dicht am Hafen.«
Andrea schüttelte den Kopf.
»Dann fahren wir dorthin. Man isst da sehr gut, und mit ein bisschen Glück spielen Gunnar und seine Band in der Bar.«
»Auf einen Drink, mehr nicht.«
»Wir werden sehen.«
17
E rschöpft strich sich Evelyn Wahlstrom eine rote Haarlocke hinters Ohr. Seit vier Tagen arbeitete sie fast ununterbrochen. Erik und sie hatten nach der Rückkehr auf die Lofoten noch drei geruhsame Tage miteinander verbracht, dann war er nach Tromsø geflogen. Von dort würde er weiterreisen. Erst nach Oslo, dann nach Südamerika. Gemeinsam mit einem dänischen Kollegen wollte er ein Stück den Amazonas entlangfahren und filmen.
Wie immer, wenn sie traurig war über seine lange Abwesenheit, stürzte sich Evelyn in die Arbeit. Stundenlang konnte sie an der Staffelei stehen und malen.
Evelyn Wahlstrom wohnte in Kabelvåg, einer kleinen Ortschaft in der Nähe Svolværs, die noch vor hundert Jahren »das Herz der Lofoten« genannt wurde. Die wundervolle alte, ungewöhnlich große Holzkirche gab Zeugnis davon, wie bedeutsam der Ort einmal gewesen war. Jetzt liefen nur noch kleine Schiffe den Hafen mit seinen flachen Felsbecken an.
Evelyns Haus stand in Hafennähe, es war ein zweistöckiges, weiß gestrichenes Gebäude mit einem flachen Anbau. Die beiden schmalen Wände waren mit hellbraunen Holzlatten verkleidet, die Südseite bestand aus einer großen Fensterfront, die der Künstlerin auch bei
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