Mittsommersehnsucht
offen an. »Ich hoffe, Sie sind einverstanden, dass ich eingesprungen bin.«
»Soll ich im Nachhinein vielleicht ein Veto einlegen?« Er musterte sie ungeniert. »Du bist eine Kollegin? Unglaublich! Viel zu jung …«
»Leider habe ich meine Unterlagen nicht zur Hand. Aber Sie können versichert sein, dass ich mein Medizinstudium abgeschlossen habe.« Es war nicht einfach, ruhig und gelassen zu bleiben, doch Andrea bemühte sich erfolgreich.
»Tja … dann ist es ja gut.«
»Die alte Lina ist übrigens ganz friedlich eingeschlafen.«
»Nun hat sie endlich ihre Ruhe.« Kurz sah Johan Ecklund auf. »Und sonst?«
»Sie haben doch schon alles durchgesehen. Es gab keine besonderen Vorkommnisse.« Andrea antwortete kurz und knapp. Sie sah keine Veranlassung, besonders höflich zu dem Kollegen zu sein, der sich so barsch und abweisend gab, dass es schon wie eine Beleidigung wirkte. Dabei hatte er allen Grund, ihr dankbar zu sein, schließlich hatte sie ihn vertreten, ohne über ein Honorar zu reden. Das einzig Positive war für sie gewesen, dass sie auf schnellstem Weg ein Dokument von der Behörde bekommen hatte, das ihr erlaubte, als Ärztin in Norwegen tätig zu sein. Wie Birgit das geschafft hatte, blieb ihr Geheimnis. Die Haushälterin hatte nur gesagt: »Darum kümmere ich mich. Ich kenne da ein paar Leute …«
Andrea sah zu Birgit hinüber, die ihren Arbeitgeber grimmig ansah. Ganz offensichtlich war sie nicht bereit, länger zu seinem Benehmen zu schweigen.
»Keine besonderen Vorkommnisse. Aha! Und das kannst du beurteilen, junge Kollegin? Pah!« Er blickte bei den Worten weiterhin starr auf seinen Schreibtisch.
»Johan, reiß dich gefälligst zusammen!« Birgit Nerhus schob die junge Ärztin zur Seite. »Sie war auf dem Schiff, als ein Notfall passierte. Stell dir vor, sie hat drüben in der Fischfabrik operiert! Aber das hab ich dir ja schon alles in der Klinik erzählt. Tu jetzt nicht so, als sei dir das neu.«
»Und den Eingriff hat der Patient überlebt?« Die Ironie in seinen Worten war unüberhörbar.
»Sehr gut sogar. Er steht übrigens draußen. Sie können ihn fragen, ob er mit meiner Behandlung einverstanden war.« Andrea sah kurz zu Birgit hinüber, die bei diesen Worten zu schmunzeln begann.
»Unsinn.« Mehr sagte Johan Ecklund nicht.
»Tja dann … alles Gute für Sie. Tut mir leid, dass Sie so wenig mit meiner Vertretung einverstanden waren. Das habe ich nicht gewusst.« Andrea sah keine Veranlassung, länger wie eine Sünderin oder gar Bittstellerin vor dem alten Kollegen stehen zu bleiben. Mochte er doch zusehen, wie er allein zurechtkam. Sie würde so rasch wie möglich zurückfahren nach Bergen, dort ihre letzten persönlichen Dinge aus Jonas’ Wohnung holen und Norwegen verlassen.
Es sei denn, du bekommst den Job in Oslo, schoss es ihr im selben Moment durch den Kopf. Andrea sah hinaus auf den Fjord, auf dem etliche Boote und ein paar kleinere Yachten kreuzten. Sie hatte das Land immer mehr lieben gelernt in den letzten Wochen, und die Vorstellung, nicht mehr hierher zurückzukehren, versetzte ihr einen schmerzhaften Stich. Doch was blieb ihr übrig?
»Ich darf mich dann verabschieden. Bis später. Ich werde nachher noch packen und morgen früh gehen.«
»Kommt ja nicht in Frage, dass du gehst!« Birgit trat einen Schritt vor und stieß den Arzt an. »Johan … nun sag schon endlich was!«
Ein Ruck ging durch Dr. Ecklund. Er schob die Papiere zur Seite und stand zögernd auf. »Nein, bleib noch. Bitte. Ich … ich muss mich entschuldigen. Es ist nur … ich bin es nicht gewöhnt, dass jemand in meiner Praxis mitarbeitet.« Er streckte Andrea die Hand hin. »Danke für deine Hilfe, Kollegin. Und verzeih mir mein Benehmen. Ich entschuldige mich in aller Form.« Ein langer Blick ging zu Birgit, die ihm zunickte.
»Schon gut. Ich habe gern geholfen. Es war eine sehr interessante Erfahrung für mich.«
»Tja, mit der Arbeit an einer Klinik kann man das hier nicht vergleichen.«
»Stimmt. Aber ich bin, offen gestanden, froh, dass ich diesen Arbeitsbereich kennenlernen konnte.«
Johan Ecklund nickte nur.
»Gute Besserung für Sie.« Andrea wandte sich ab und umarmte Birgit Nerhus, die neben der Tür stehen geblieben war. »Danke, liebe Birgit. Du warst sehr, sehr nett zu mir.«
»Bleib doch noch, Doktor Andrea. Er braucht noch Hilfe.«
»Nein, ich muss gehen.« Beinahe fluchtartig verließ sie das Haus. »Meine Sachen hole ich später ab.«
Magnus lehnte an der Haustür und
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