Mittsommersehnsucht
ihn. »Und du machst mich wahnsinnig glücklich.« Ihre Zunge glitt über die Lippen, sie sah ihm intensiv in die Augen, bevor sie ihn erneut küsste. Dann, nur einen Millimeter waren ihre Lippen von seinen entfernt, sagte sie: »Belüg mich nicht, Magnus. Das könnte ich nicht ertragen.«
36
W o war die Sonne, die die Haut gewärmt und das Land mit goldenem Licht übergossen hatte? Wo war der sanfte Wind, der mit den Wellen gespielt und die erhitzten Körper gekühlt hatte?
Der nächste Morgen zeigte sich kalt und düster. Sintflutartige Regengüsse verwandelten die Landschaft in ein abweisendes Meer aus Stein und Geröll. Die grünen Weideflächen im Innern der Insel waren wie mit einem grauen Schleier verhangen. Es war kaum möglich, weiter als hundert Meter zu sehen. Die norwegische Flagge, die vor dem Hotel an einem weiß gestrichenen Mast hing und die gestern noch übermütig im Wind geflattert hatte, war nichts als ein nasser Fetzen Stoff.
Die Fahrt zurück nach Stamsund war beschwerlich. Die Straßen waren nass und zum Teil von Schlamm bedeckt. Die Scheibenwischer des Volvo schafften es nur mit Mühe, die Wassermassen von der Scheibe zu verbannen.
Magnus fuhr langsam und konzentriert, vor allem auf den Brücken drosselte er das Tempo, denn der Wind versuchte den Widerstand, den der Wagen bot, zur Seite zu schleudern.
Nach vier Stunden bot Andrea an, ihn abzulösen, doch er winkte ab.
»Ich bin noch nicht müde.«
»Gar nicht erschöpft?« Sie lachte und lehnte kurz den Kopf an seine Schulter. »Dabei hatte ich letzte Nacht den Eindruck, dass du …«
»Hey, was denkst du von mir? Bin ich vielleicht ein alter Mann? War ich dir nicht potent genug?« Er bremste mitten auf der Straße ab. »Du, wenn du das nicht sofort zurücknimmst …«
»Was dann?«
»Dann zeige ich dir jetzt und hier, wie fit ich bin. Und vor allem wie potent.« Er zog sie an sich. Sein Kuss war leidenschaftlich, seine Zunge spielte in ihrem Mund, seine Hände tasteten zu ihren Brüsten, woraufhin ihre Brustwarzen sich sofort steil aufrichteten. Kurz beugte er sich vor, küsste sie durch den leichten Stoff des Pullis.
»Nein … nicht jetzt.« Lachend wehrte Andrea ihn ab. »Wenn jemand kommt …«
»Wer soll sich schon in diese Einöde verirren?«
Aber er fuhr dann doch weiter, so lange, bis sie am späten Abend Stamsund erreichten. Das Doktorhaus lag in tiefer Dunkelheit, nur über der Haustür brannte die blau lackierte Lampe.
»Birgit ist bestimmt unterwegs.« Andrea schloss auf und machte Licht. Sofort sah sie, dass der Anrufbeantworter, der auf einer kleinen Kommode an der Längsseite der Diele stand, blinkte.
Es war nur eine Nachricht von Birgit zu hören: »Hallo, Andrea. Ich war bei Johan, es geht ihm besser. Jetzt ist aber das Wetter umgeschlagen. Es regnet so sehr, dass ich lieber hierbleibe. Mach dir also keine Sorgen und grüß mir Magnus. Ach ja … eine Liste mit Anrufen von Patienten findest du in der Praxis.«
Andrea drehte sich lächelnd nach Magnus um. »Wir sind heute Nacht allein.«
»Tja, und was machen wir mit der Freiheit?«
»Das zeig ich dir dann schon.« Sie hängte ihre Jacke an die Garderobe. »Erst mal sehe ich nach, welche Patienten angerufen haben.« Sie öffnete die Tür zum Praxistrakt und blieb wie versteinert stehen. »Nein! Das darf ja wohl nicht wahr sein!«
Magnus, der ihr gefolgt war, stieß einen unterdrückten Seufzer aus. »Einbrecher. So ein Mist!« Er ging zu dem schmalen Fenster, das eingeschlagen worden war, und schloss die Fensterläden, damit Regen und Sturm nicht noch mehr Schaden anrichten konnten.
»Der Giftschrank … er ist gewaltsam aufgebrochen worden.«
»Na ja«, Magnus zuckte mit den Schultern. »Das war sicher kein Problem. Das Ding ist uralt. Der Dieb hätte die Scheiben nicht einschlagen müssen, das Schloss ist bestimmt leicht zu knacken.«
»Holger … das war bestimmt Holger!« Andrea durchsuchte den Medikamentenschrank. »Es fehlen Beruhigungstabletten und morphinhaltige Mittel. Der Typ kennt sich aus!«
»Ich informiere die Polizei.« Magnus telefonierte vom Nebenzimmer aus. Als er zurückkam, sagte er: »Die Kriminalbeamten aus Svolvær kommen erst morgen. Sie meinen, heute würden sie sowieso nichts mehr ausrichten können. Wir sollen alles so lassen, wie es ist, damit keine Spuren verwischt werden.«
»Und was machen wir jetzt?« Andrea sah sich im verwüsteten Sprechzimmer um. Glassplitter lagen auf dem Boden, der Wind hatte Papiere durchs Zimmer
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