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Mittwinternacht

Mittwinternacht

Titel: Mittwinternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phil Rickman
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Auseinandersetzungen, Zerrüttung der Kapitelgemeinschaft, unchristlicheGefühle und Verbitterung in der Geistlichkeit. Und all das wurde von vielen Leuten dem bösen Einfluss dieser kleinen alten Steinplastik im Kirchenschiff zugeschrieben, die sie den Lincoln-Kobold nennen. Es gibt dort Tausende Steinplastiken, die das Heilige in unterschiedlichsten Gestalten darstellen – und nur einen einzigen, winzigen Kobold. Verstehen Sie, was ich meine?»
    «Ja.» Merrily fragte sich, was Rowennas sexuelle Beutezüge im Kanonikat von Salisbury angerichtet hatten.
    «Gegen was kämpfen wir hier eigentlich, Huw? Gegen Ihr
potenziell böswilliges, halb empfindungsfähiges Kraftfeld
oder gegen etwas anderes – jemand anders?»
    «Wenn ich das wüsste. Aber wenn Dobbs über die Bedeutung des zerlegten Schreins Bescheid wusste, dann war er bestimmt nicht der Einzige. Und wir reden jetzt nicht über irgendwelche Spinner.»
    Er sah Merrily an.
    «Über wen denn sonst?»
    Huw kratzte sich am Kopf. «Vermutlich über diejenigen, die sich auskennen und nach weiterem Wissen streben.
Höherem
Wissen – die Art Wissen, die man nicht von den Menschen erwerben kann. Und genauso wenig von Gott oder Seinen Engeln, denn dafür sind wir Menschen nicht bestimmt. Aber Dämonen sind anders: Man kann Dämonen
befehligen
, wenn man stark genug ist. Oder man kann etwas mit ihnen aushandeln.»
    Merrily fror, und der Anblick des leeren, auseinandergebauten Grabmals setzte ihr langsam zu. Sie war froh, als Huw sagte: «Zünden wir eine Kerze für Tommy an», und in Richtung der Trennwand ging.
    Draußen neben der Trennwand gab es einen Stand mit Votivkerzen, der seinen Ort normalerweise direkt neben dem Schrein hatte. Alle Kerzen waren aus, also gab sie Huw ihr Zippo, sodass er zwei Kerzen für sie anzünden konnte.
    Er berührte ihren Ellbogen. «Beten wir ein bisschen, ja?»
    Sie nickte. Sie knieten sich vor die Trennwand und die Fragmente des Schreins. Eine der Kerzen erlosch. Sie reichte Huw erneut ihr Zippo, und er stand auf, um die Kerze wieder anzuzünden. Merrily streckte die Hand aus, um festzustellen, ob von irgendwoher ein Luftzug kam, doch sie spürte nichts.
    Als Huw einen Schritt zurücktrat, erlosch die zweite Kerze.
    Er wartete einen Augenblick und hielt das Feuerzeug dann an die zweite Kerze. Als die Flamme den Docht berührte, ging die erste Kerze erneut aus.
    Ein kaltes Gefühl stieg in Merrily auf und verließ ihren Mund als kurzes, kaum hörbares Wimmern.
     
    Der Abend draußen war neblig und kalt. Huw sagte: «Passen Sie auf sich auf.»
    Merrily zitterte wie Espenlaub.
    «Hören Sie mir zu: Es hat mit uns gespielt. Es sagt:
Ich bin hier, ich bin wach
. Sie haben mich nach meiner Einschätzung gefragt. Ich glaube, dass wir es mit einem aktiven Invasor zu tun haben.»
    «Aber es könnte doch auch subjektiv   … die Kerzen   … Was ist, wenn es einer von uns war?»
    «Dann hat er
durch
einen von uns gehandelt.»
    «Was sollen wir jetzt machen, Huw?»
    «Wenn es in der Kathedrale eine negative Präsenz gibt, müssen wir uns vermutlich auf einen Großen Exorzismus einstellen. Inzwischen rate ich Ihnen, auf keinen Fall allein in diese Kirche zu gehen.»
    «Aber Huw   …»
    Merrily dachte daran, was Michael Hunter an dem scheinbar so lange zurückliegenden Nachmittag im
Green Dragon
gesagt hatte:
«Ich will nicht, dass mir
jemals
etwas von einem sogenannten
Großen Exorzismus zu Ohren kommt. Das ist geschmacklos, überholt und garantiert unwirksam.»
    Einen Moment lang wünschte sie sich, Huw hätte den Rat des Dekanats angenommen und das Schoßhündchen des Bischofs aus dieser Sache herausgehalten. Vermutlich würde sie es nie mehr wagen, eine Kerze anzuzünden.
    «Sie wissen, was Sie jetzt zu tun haben, oder, Merrily?»
    «Mit Michael reden.»
    Huw legte ihr seine große Hand auf die Schulter. «Er mag Sie. Erzählen Sie ihm, was sich in seiner Kathedrale breitmacht. Erzählen Sie ihm, was geschehen muss.»

45
Alles, was es gibt
    Zum ersten Mal wirkte das Gebäude auf Merrily wie ein richtiger Palast. Viele Fenster waren erleuchtet, und das Licht strahlte gleichmäßig in die neblige Dunkelheit hinaus. Mehrere Autos parkten nah an der Mauer unter den georgianischen Fenstern.
    Merrily zögerte, und das war auch kein Wunder.
    Sie dachte an den dritten Tag des Exorzisten-Kurses in den Brecon Beacons – daran, wie das Licht ausgefallen und der Videorecorder ausgebrannt war. Merkwürdig, wie viele Spannungsschwankungen es gab,

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