Mobile

sein«, sagte Michael. »Auf jeden Fall besser, als wenn Carola ständig anruft, weil die Farbe immer weiter flöten geht. Vielleicht verlangsamt es sich ja.«
    Joachim griff in die Brusttasche seines Hemdes und zog die drei gefalteten DIN-A5-Bögen hervor. Er faltete sie auseinander und legte sie nebeneinander auf den Tisch. Auf dem Papierbogen in der Mitte waren Daniel und das Mobile zu sehen. Der Junge lag schlafend in Carolas Arm. Sie hatte schief gestanden und von weiter unten fotografiert, so dass im Hintergrund das Mobile zu sehen war, die farbenverlierende Holzfigur ganz vorne.
    Bruce brachte die Biere. Er stellte sie auf den Tisch. Mit einem schnellen Blick sah er auf die Aufnahme.
    »Es veri rren sich nicht häufig Fremde nach Ipswich«, sagte er. »Die Stadt ist nicht gerade eine Touristenattraktion und keine Wirtschaftsmetropole, und seitdem unser Fußballverein in der zweiten Liga dümpelt, ist es auch mit internationalen Spielen vorbei. Was macht ihr Jungs hier?«
    »Wir versuchen ein Problem zu lösen«, sagte Michael, nahm das Glas und trank einen tiefen Schluck. Nichts in seinem Gesicht verriet, ob es ihm schmeckte oder nicht.
    Bruce deutete auf die Aufnahme und sah Michael fragend an. Michael nickte. Bruce stützte sich auf den Tisch, und sein mächtiger Trizeps trat hervor. Er fragte mit gedämpfter Stimme: »Ist das Ihr Kind?«
    Michael schüttelte den Kopf und zeigte auf Joachim.
    Bruce wandte sich Joachim zu. »Das Mobile macht etwas mit dem Kind.«
    Joachim entglitten sämtliche Gesichtszüge.
    Bruce fügte an: »Und Sie ahnen, was geschehen wird, aber Sie haben keine Ahnung, wie Sie es stoppen können.«
    Michael musterte Bruce. Dieser Koloss von einem Mann wirkte trotz der Muskeln, des kahlrasierten Schädels und der vielen Tätowierungen alles andere als bedrohlich. Sein Gesichtsausdruck war freundlich und die Augen machten einen wachen Eindruck. Der Kerl schien eine ehrliche Haut zu sein. Und er schien etwas zu wissen.
    »Wir hängen gewaltig in der Luft«, sagte er. »Wir suchen einen Mann, aber wir haben nur wenige Ansatzpunkte. Der erste Buchstabe seines Vornamens ist vermutlich G. Er ist alt, bereits Ende Siebzig bis Mitte Achtzig. Vor mehr als fünfunddreißig Jahren war er in Hannover und hat Spielzeug in Umlauf gebracht. Unter anderem dieses Mobile.«
    »Wer hat Sie auf die Reise geschickt?«
    »Niemand. Wir haben erkannt, was geschieht, und sind aufgebrochen . Wir versuchen, das Kind zu retten.«
    »Ich befürchte, dass das kaum möglich sein wird. Selbst wenn Sie einen von ihnen erwischen sollten, wird es nicht vorbei sein.«
    Michael setzte sich kerzengerade auf. »Einen von ihnen? Wie meinen Sie das?«
    Bruce flüsterte: »Niemand weiß, wie viele es sind. Hunderte? Tausende? Es gibt Leute, die behaupten, sie leben unter uns wie ganz gewöhnliche Bürger. Haben eine Familie, einen normalen Job. Machen sich sichtbar, um unsichtbar zu sein. Andere sagen, sie hocken als blinde und nackte Kreaturen in den Höhlen der schottischen Hochlands, können jede mögliche Gestalt annehmen und jede Sprache der Welt sprechen, sobald sie die Höhlen verlassen und auf Beutezug gehen.«
    »Wovon reden Sie, Mann?«, fragt e Michael und sah Bruce kritisch an.
    »Jeder von uns könnte einer von ihnen sein, wenn man den Leuten Glauben schenkt, die es zu wissen behaupten. Und jeder von ihnen hat eine Fähigkeit, die er einsetzt, um sich das zu holen, was er haben will.«
    Michael und Joachim warfen sich einen schnellen Blick zu, dann sagte Michael: »Sie nutzen Spielzeug, um sich Kinder zu holen.«
    » Der ein oder andere. Aber längst nicht alle, zumindest wird es behauptet. Jeder hat seine ganz eigene Fähigkeit. Unterm Strich sind sie alle auf Gaben aus.«
    »Gaben?«, fragte Joachim verwundert. »Welche Gaben hat ein kleiner Junge wie mein Sohn?«
    »Schlummernde«, sagte Michael auf Englisch. »Gaben, von denen noch niemand etwas weiß.«
    »Sie schon, sie kennen die Gaben bereits«, sagte Bruce.
    »Wie soll das möglich sein?«
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«
    Joachim schüttelte den Kopf. »Ich bin von Bekloppten umgeben«, murmelte er auf Deutsch vor sich hin.
    Michael hörte nicht hin. Er fixierte Bruce und fragte: »Und diese Leute, die behaupten, es gäbe diese ... Typen – die sagen, man erkenne sie nicht?«
    Bruce’ Stimme wurde noch leiser, als er sagte: »Angeblich sehen sie aus wie Sie und ich. Jeder in diesem Pub könnte einer von ihnen sein. Mit einem Unterschied: Man sagt,