Mode ist ein glitzernder Goldfisch
erinnere, zwei Minuten länger her, als wir verabredet hatten.«
»Exakt! Zuuuu lange!« Wilbur kommt völlig unbeeindruckt zu mir zurück und schiebt mich vor. »Ich hatte Probleme, die hier herbeizuschaffen«, erklärt er fröhlich, als wäre er Hugo und ich wäre ein richtig schönes Stöckchen. »Aber am Ende habe ich sie doch hergebracht.«
Er schubst mich noch einmal mit den Fingerspitzen, bis ich verlegen vor Yuka stehe. Wilbur hatte recht: Sie hat etwas Königliches an sich, und ich ertappe mich dabei, wie ich in einen Knicks sinke, wie man ihn uns im Ballettkurs beigebracht hat, bevor die Lehrerin Annabel bat, mich nicht mehr hinzubringen, denn es sei »unmöglich, mir Anmut beizubringen«.
Yuka Ito betrachtet mich mit versteinerter Miene, und dann drückt sie â fast ohne sich zu bewegen â auf einen kleinen Knopf an einer Fernbedienung in ihrem SchoÃ. Fast direkt über mir geht ein greller Scheinwerfer an, und ich zucke ein wenig zusammen.
Ehrlich. Was ist das hier für ein Raum?
»Harriet«, sagt sie, als ich nach oben spähe. Doch ihre Stimme ist ohne jeden Ausdruck, also weià ich nicht, ob es eine Frage oder eine Aussage ist oder ob sie nur übt, meinen Namen zu sagen.
»Harriet Manners«, korrigiere ich sie automatisch.
»Harriet Manners.« Sie betrachtet mich langsam von oben nach unten. »Wie alt bist du, Harriet Manners?«
»Ich bin fünfzehn Jahre, elf Monate und zwei Tage alt.«
»Ist das deine natürliche Haarfarbe?«
Ich zögere kurz. Warum sollte jemand sich die Haare in diesem Ton färben wollen? »⦠Ja.«
Yuka zieht eine Augenbraue hoch. »Und du hast noch nie als Model gearbeitet?«
»Nein.«
»WeiÃt du etwas über Kleidung?«
Ich sehe verblüfft an meinem grauen Nadelstreifenkostüm runter. Das kann nur eine Fangfrage sein. »Nein.«
»Und weiÃt du, wer ich bin?«
»Ja. Sie sind Yuka Ito, Kreativdirektorin von Baylee.«
»Hast du das gewusst, bevor Wilbur es dir vor dreiÃig Sekunden gesagt hat?«
Ich schaue Wilbur an. »Nein.«
»Aber sie ist sehr klug«, platzt Wilbur enthusiastisch heraus, der einfach nicht mehr an sich halten kann. »Sie kapiert alles unglaublich schnell, nicht wahr, meine kleine Hummel? Sobald ich ihr gesagt hatte, wer du bist, hat sie es nicht mehr vergessen.«
Yuka lässt langsam den Blick über ihn gleiten. »An welchem Punkt genau«, sagt sie mit eisiger Stimme, »habe ich den Eindruck erweckt, ich wollte Sie in ein Gespräch verwickeln, Wilbur?«
»An keinem«, antwortet Wilbur und tritt ein paar Schritte zurück. Er winkt mir, mich hinter ihn zu stellen.
»Und«, fährt sie fort, den Blick wieder auf mich gerichtet, »wie stehst du zu Mode?«
Ich denke ein paar Sekunden lang gründlich darüber nach. »Es sind nur Klamotten.« Und dann schlieÃe ich den Mund so fest wie möglich und schnipse im Geiste mit Daumen und Zeigefinger. Es sind nur Klamotten? Was ist los mit mir? Der mächtigsten Frau der Modeindustrie zu erklären, es wären nur Klamotten, ist, als würde man zu Michelangelo sagen: Es ist nur eine Zeichnung. Oder zu Mozart: Es ist nur Geklimper. Warum gibt es kein Netz zwischen meinem Gehirn und meinem Mund, um solche Sätze abzufangen, wie das Sieb in der Küchenspüle, das die Gemüsereste auffängt?
»Würdest du mir dann freundlicherweise erklären, warum du Model sein willst?«
»Vermutlich â¦Â« Ich schlucke unsicher, denn das ist eine richtig gute Frage. »Weil ich will, dass die Dinge sich ändern.«
»Und mit Dingen meint sie«, mischt Wilbur sich wieder ein und tritt vor, »so was wie den Weltfrieden. Umweltbewusstsein. Hunger. Armut.«
»Also, eigentlich meine ich hauptsächlich mich«, korrigiere ich ihn unbehaglich. »Ich bin mir nicht sicher, ob man bei den anderen Sachen mit Mode was ausrichten kann.«
Yuka starrt mich mit völlig ausdruckslosem Gesicht an â es kommt mir vor wie zwanzig Jahre, aber in Wirklichkeit sind es nur zehn Sekunden.
»Dreh dich um«, sagt sie schlieÃlich mit trockener Stimme.
Also drehe ich mich um. Und weil ich nicht weiÃ, was ich sonst machen soll, drehe ich mich immer weiter. Und drehe mich. Und drehe mich, bis ich Angst kriege, mir könnte schlecht werden und ich müsste kotzen.
»Du kannst jetzt
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