Mode ist ein glitzernder Goldfisch

den ganzen Mädchenkram.«
    Schweigend sehe ich ihn ein paar Augenblicke an. Das erklärt vieles. »Also, ich kann nicht. Ich habe noch nie hohe Absätze getragen. Was mache ich denn jetzt?«
    Mein Vater überlegt, und dann singt er »Lean on Me« von Al Green. Er beugt sich über mich und zieht mich hoch, und ich mache einen wackligen Schritt und klammere mich an seine Schultern wie ein beduseltes Koalababy, das an einem Eukalyptusbaum hängt. Mein Vater sieht mich an und wirbelt mich dann herum, sodass ich nicht zur Tür schaue.
    Â»Was machst du denn da?«, fahre ich ihn an. Im Augenblick kriege ich es nicht mal hin, ein richtiges Mädchen zu sein, ganz zu schweigen von einem Model. »Die Tür ist da.«
    Â»Bevor wir irgendwohingehen, will ich, dass du dir das ansiehst«, sagt mein Vater und zeigt in den Spiegel.
    Eine Weile sagt niemand etwas.
    Neben dem Spiegelbild meines Vaters ist das eines Mädchens. Sie hat weiße Haut, ausgeprägte Wangenknochen, ein spitzes Kinn und grüne Augen. Sie hat dünne lange Beine und einen langen Hals, und sie wirkt elegant und unbeholfen zugleich, wie ein junges Reh. Und erst als ich mich ein bisschen vorbeuge und sehe, dass ihre Nase – genau wie meine – am Ende ein wenig aufwärtszeigt, begreife ich, dass ich das bin.
    Das bin ich?
    Das bin ich. Wow. Die Schönheitsindustrie funktioniert tatsächlich. Ich sehe … ich sehe … ich sehe ganz gut aus.
    Â»Du kannst sagen, was du willst«, sagt mein Vater nach einem Augenblick. »Aber ich glaube,Annabel und ich haben was richtig gemacht.«
    Ich stoße ein beschämtes und zugleich erfreutes Quietschen aus.
    Â»Und deine Mutter natürlich auch. Versteh mich nicht falsch, die Haare hast du von mir. Aber deine Mutter hat dir ihre Schönheit vererbt. Sie wäre begeistert.« Dann wirbelt mein Vater mich wieder herum, sodass meine Zehen auf seinen Füßen zu stehen kommen, und trägt mich halb, halb tanzt er mit mir aus dem Bad. »Brüll für mich?«, sagt er.
    Â»Brüüüülllllll.«
    Â»So ist gut. Und jetzt auf sie mit Gebrüll, Tiger.«
    Â»Ich glaube, das hier soll eigentlich Leopard sein«, erkläre ich ihm und betrachte den Mantel. »Er ist gepunktet und nicht gestreift. Tiger haben Streifen.«
    Dad grinst von einem Ohr zum anderen. »Dann auf sie mit Gebrüll, Leopard.«
    Wir brauchen weitere vier Minuten, um aus dem Bad zu kommen, und als ich wieder im Hotelzimmer bin, hat Dad sich eine neue tierische Entsprechung für mich überlegt – »Babygiraffe, die Eislaufen lernt«.
    Was – für das Protokoll – sehr unfreundlich ist. Ich möchte mal sehen, wie er versucht, mit zwanzig Zentimeter hohen Buntstiften unter den Füßen zu gehen. Zudem legen sich Giraffen nie hin, und ich lande an mindestens drei Punkten in der Horizontalen.
    Â»Also, das funktioniert so nicht, oder?«, meint Wilbur schließlich. »Wir müssen dich runter zum Shooting bringen, und in dem Tempo bist du wahrscheinlich zu alt zum Modeln, wenn wir dich endlich unten haben, Engel-Muh. Dann bist du wahrscheinlich Anfang zwanzig, und wem soll das nützen?«
    Â»Ich könnte meine Turnschuhe wieder anziehen«, schlage ich vor und hole sie aus meiner Tasche. Wilbur betrachtet sie und zuckt sichtlich zusammen. »Ein perfekt geschnittener Mantel aus der Limited Edition der nächsten Saison von Baylee zu … sind das Turnschuhe Eigenmarke Supermarkt?« Er schluckt. »Ich glaube, mir ist gerade ein wenig Galle hochgestiegen. Nein, das geht nicht. Modesakrileg. Das kann ich nicht erlauben. Nicht solange noch Atem in diesem meinem wunderschönen Körper ist.« Stirnrunzelnd sieht er sich im Zimmer um. »Zum Glück bin ich ebenso brillant wie umwerfend«, fügt er fröhlich hinzu. »Und ich habe eine Idee.«
    Zehn Minuten später erscheine ich mit meiner ganzen Entourage im Schlepptau auf dem Roten Platz, auch wenn es nicht ganz der Auftritt ist, auf den ich gehofft hatte.
    Ja, ich glaube, die meiste Zeit vergrabe ich das Gesicht in den Händen.
    Nick wirft einen Blick auf den Rollstuhl, errät sofort, warum ich darin sitze, und lacht völlig uncool so laut auf, dass von der Skulptur in der Nähe ein paar Tauben auffliegen.
    Yuka ist nicht halb so beeindruckt.
    Â»Gut, würde jemand so freundlich sein, mir zu erklären …«, zischt sie, als wir