Model-Ich (German Edition)
zusammen im Studio ist, und man sich darauf einstellen muss, miteinander zu arbeiten. Das dritte Album hat uns zu einer harmonischen musikalischen Einheit gemacht. Das Album ist jetzt fertig und ich bin gespannt, wie es weitergeht. Denn eines hat mir die Musik beigebracht: Man kann sich darauf verlassen, dass sie einen überraschen wird.
NEW YORK
WENN BERLIN WIE EIN GUTER FREUND FÜR MICH IST, dann war New York mein erster großer Schwarm. Es ist die Stadt, in der ich erwachsen geworden bin. Hier habe ich die ersten wichtigen Erfahrungen als Model gemacht, habe mein erstes großes Geld verdient (und wieder ausgegeben) und zum ersten Mal auch das Gefühl gehabt, auf eigenen Beinen zu stehen. Fünf Jahre lang habe ich dort gelebt und obwohl ich meine Wohnung mit 25 gekündigt habe, zieht es mich mindestens einmal im Jahr dorthin, besonders im Frühling, wenn im Central Park gerade alles anfängt zu blühen.
»Meine Wohnung in New York.« Wie habe ich es geliebt, diesen Satz zu sagen. Mit meiner Liebe verhielt es sich umgekehrt proportional zum Objekt. Das letzte Model-Apartment, in dem ich untergebracht war, war ein schickes Duplex, inklusive Putzfrau und großem Schrank für meine rasant wachsenden Klamottenberge. Schon nett. Die erste eigene Wohnung, die ich mir mit meiner Freundin Carmen teilte, war nicht größer als ein Schuhkarton, aber ich war ganz verschossen in sie. Denn für mich bedeutete sie: Ab jetzt gehöre ich in New York dazu. Die Wohnung war mein kleiner Teil von Manhattan. Und wenn ich klein sage, meine ich winzig. In mein Zimmer passte gerade mal ein Bett, und das auch nur, nachdem ich die Tür ausgehängt und stattdessen einen Vorhang mit Tesafilm angebracht hatte.
In New York lernt man, zu improvisieren. Ich habe mir ein paar Stühle auf dem Flohmarkt gekauft, aber wie geht es weiter ohne Auto? Die Stühle kriegt man auch mit dem Taxi nach Hause. Das Geld für den Umzug wird knapp? Dann kennt die
Buchhalterin aus der Modelagentur bestimmt einen Kerl, der einen Truck hat und dir alles spottbillig von A nach B bringt. Und wenn der Truck ganz zufällig am Tag des Umzugs abgeschleppt wird, dann gibt man ein paar Jungs 300 Dollar auf die Hand, um Möbel zu schleppen. Die koreanischen Klienten, für die du gerade Katalogfotos gemacht hast, zahlen nur Cash? Nimm das Geld und frag nicht weiter.
Hier fällt einem das Geld vor die Füße – und rinnt einem gleich wieder durch die Finger. Morgens hatte man noch 300 Dollar in der Tasche, abends nur noch 50, und man weiß nicht mehr, wofür man es eigentlich ausgegeben hat. Aber man hat das Gefühl: Ich lebe gut. Solange man in Manhattan ist, vermisst man den Rest der Welt nicht. Und solange Manhattan vor deiner Haustür liegt, vergisst man, dass man illegal zur Untermiete wohnt und für ein paar Quadratmeter ein Vermögen zahlt. Die Stadt summt vor lauter Energie, und Carmen und ich waren in Soho mittendrin. Es gibt so unfassbar viel zu sehen, dass einen das Überangebot erschöpft. So manchen befällt dann die New-York-Depression, die meist nach den ersten paar Wochen einsetzt, wenn man allein ist und das Gefühl hat, um einen herum haben alle mächtig Spaß. Ja, die Stadt kann einsam machen. Aber wenn man sich mit dem Lärm und den Leuten treiben lässt, fühlt man sich irgendwann wie ein Teil des Ganzen, ob im Waschsalon um die Ecke, in dem Café, in dem dich der Besitzer mit Namen begrüßt, oder im Central Park beim Picknick.
Wenn ich mit Freunden die Stadt besuche, kann ich immer mit einem Besuch im Grey Dogs auftrumpfen. Grey Dogs ist ein kleines Café in Soho, in dem ich damals mit meiner Freundin Denny ganze Tage verbrachte. Zum Frühstück gibt’s dort heute noch Rührei mit Bacon und sobald der Teller vor mir steht, kommt es mir fast vor, als sei ich wieder zu Hause.
Ich glaube nicht, dass ich anderswo den gleichen Leuten begegnet wäre wie hier. Da gab es unseren Nachbarn, ein netter
Kerl – bis er seine Wohnung in ihre Einzelteile zerlegte. Die 50-jährige Putzfrau, die nebenbei junge Models betreute und, so flüsterte man, auch Hasch beschaffen konnte. Den 80-jährigen japanischen Doorman, der uns jedes Mal mit dem Satz »Haha! You funny one!« begrüßte. Denny, die den ganzen Tag im Coffeeshop rumhing und mir südafrikanische Schimpfwörter beibrachte. Sie waren alle etwas verrückt und wären sofort als Darsteller für eine Sitcom genommen worden.
Manchmal vermisse ich dieses Chaos und die Freiheit, wenn man fühlt: Ich stehe
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