Modemädchen Bd. 1 - Wie Zuckerwatte mit Silberfäden
verstecken musste. Eher könnte man denken, sie wäre in einer Modeschule aufgewachsen. Sie trägt goldene Latzhosen mit einem lila Poncho und scheint sich mehr in ihrem Element zu fühlen als die Hälfte der Studenten, die sich um die Siegerin scharen.
»Schau mal«, sagt sie mit ihrer sanften, leisen Stimme. Für ihre Verhältnisse ist sie ziemlich aus dem Häuschen.
Aus den Stoffen, die Skye entworfen hat, wurden Kleider für Crashtest-Dummys gemacht. Krähe zeigt auf ein Minikleid. Das Material ist silbern und steif wie dickes Papier oder Leder und von dicken Adern durchzogen. Stellenweise ist es löchrig, was ihm die Zartheit von Tüll verleiht. Es erinnert an Zuckerwatte mit Silberfäden. Der Stoff ist fest und fein zugleich. Er würde mit Spitze, Baumwolle oder Leder toll aussehen. Er würde auch gerahmt und an die Wand gehängt toll aussehen.
»Wow.« Manchmal ist mein Mode-Vokabular ein bisschen beschränkt. Aber »wow« scheint diesmal voll zuzutreffen.
Skye steht neben mir, ihre rosa Locken wippen.
»Freut mich, dass es dir gefällt. Ich habe ein Verfahren entwickelt, Seide mit Gummi zu verbinden. Es ist ziemlich aufwendig, aber das Ergebnis ist genial. Vorhin war Marc Jacobs da, und es hat ihm gefallen.«
»Wow.«
»Aber wir müssen dringend über deine Freundin reden«, sagt Skye und sieht dabei so ernst aus, wie jemand mit rosa Haaren und Plateauschuhen nur aussehen kann. »Eine Bekannte von mir hat einen Stand auf dem Portobello-Markt, und Krähes Kleider wären perfekt dafür. Mich haben heute Abend schon drei Leute gefragt, wo mein Kleid her ist.«
Ich nicke sprachlos. Und denke: »Wow.« Der Portobello-Markt in Notting Hill in der Nähe von Krähes Schule ist der Ort, wo alle großen Modeleute hingehen, um ungewöhnliche Sachen zu entdecken. Kate Moss kauft dort ein. Meine Mutter kauft dort ein. Auch wenn sie ganz in der Nähe sind, den Schulbasar und den Portobello-Markt trennen Welten.
»Außerdem braucht sie einen Platz zum Arbeiten. Sie sagt, dass sie nicht mehr nähen kann, weil sie nicht weiß wohin mit den ganzen Sachen.«
»Daran arbeite ich«, sage ich und bin froh, ausnahmsweise organisiert und praktisch zu klingen.
Ich wünschte, Skye würde »wow« sagen, aber das tut sie nicht. Sie sagt einfach nur »gut«. Sie wirkt nicht mal überrascht – als ginge sie sowieso davon aus, dass Krähes logistische Probleme meine Aufgabe sind. Ich bin leicht gekränkt, dass sie es so selbstverständlich nimmt, aber auch ein bisschen stolz, dass sie mir die Kompetenz zutraut. Mum wäre schockiert. Ich blicke an mir herunter, um nachzusehen, ob ich mich über Nacht in Edie verwandelt habe, aber nein, Edie würde nicht mal im Grab paillettenbestickte Leggings tragen.
Wir haben Krähe versprochen, sie nach Hause zu bringen. Als wir gehen wollen, bleibt Harry kurz stehen, um zu randalieren. Zumindest erwische ich ihn dabei, wie er ein Poster von der Wand reißt.
»Was machst du da?«, frage ich und klinge wie Mum.
»Keine Sorge, die haben jede Menge davon«, erklärt er. »Aber ich muss es einfach haben. Schau dir das an.«
Es ist ein Poster für einen Design-Wettbewerb zu Ehren von Yves Saint Laurent. Yves Saint Laurent ist vor kurzem gestorben, und Mum hat tagelang Schwarz getragen. Ich habe ihn mit einer Reihe von orange- und pinkfarbenen Gedenkoutfits gewürdigt. Sehr YSL. Von Mums schwarzen Sachen waren natürlich einige echt YSL, was ich ehrlich gesagt ziemlich protzig fand.
»Was hat das mit Svetlana zu tun?«, frage ich.
»Lies das Kleingedruckte, dann weißt du, dass sie sozusagen der Preis ist. Der Sieger bekommt die Gelegenheit, ein Kleid für sie zu entwerfen.«
»Wow.«
Ich lese das Kleingedruckte. Es geht um den Entwurf eines Cocktailkleids, das den »Geist von Yves Saint Laurent« verkörpert. Der Sieger darf im Anschluss eine eigene Kreation für Svetlana entwerfen, die sie auf dem Laufsteg bei der Londoner Fashion Week präsentiert.
»Cool«, sage ich. »Da muss ich mitmachen.«
»Du und jeder Modestudent im ganzen Land«, erwidert Harry trocken. »Das gesamte Saint Martins College wird teilnehmen. Aber lass dich nicht abschrecken, Kleine. Man kann nie wissen.«
Ich beschließe, es auf jeden Fall zu versuchen – trotz des kleinen Handicaps, dass ich nicht zeichnen kann. Die Geschichte von Yves Saint Laurents Entdeckung ist einer meiner Top-drei-Lieblingsaugenblicke in der Modegeschichte. Mit achtzehn nahm er mit dem Entwurf für ein Cocktailkleid an einem
Weitere Kostenlose Bücher