Modemädchen Bd. 1 - Wie Zuckerwatte mit Silberfäden
Unterhaltungswert ist nicht gerade mit YouTube vergleichbar. Ich dachte, dass vielleicht vier Leute pro Woche ihre Seite besuchen, und wollte ihr gerade freundlich erklären, dass ein paar Links auf ihrer Website keine große Wirkung haben werden. Aber zweitausend ist eine eindrucksvolle Zahl.
»Ja, wirklich. Die meisten lesen meinen Blog. Ich schreibe, was ich so treibe. Und was du anhast natürlich. Sachen aus der Schule. Was mir wirklich wichtig ist, und was wir tun müssen. Ich bekomme jede Menge Kommentare und Fragen. Und viele andere Blogger haben sich mit mir verlinkt. Schau mal.«
Die nächste halbe Stunde verbringen wir damit, von Link zu Link zu springen, und vor mir tut sich ein Netzwerk von Edies auf, über Europa und Amerika und Afrika verteilt, die alle versuchen, die Welt zu verändern, und sich darüber miteinander austauschen. Ich hatte ja keine Ahnung. Und ich bin wirklich froh, dass Edie nicht allein ist, denn von mir bekommt sie bekanntermaßen wenig sinnvolle Beiträge zu ihren Themen. Genauso wie ich wenig sinnvolle Beiträge von ihr zur Geschichte des Punk oder zur Tragbarkeit von Gladiatorsandalen erwarte.
»Moment mal!« Es hat eine Weile gedauert, bis bei mir der Groschen gefallen ist. »Du erzählst zweitausend Leuten jede Woche, was ich anhabe ?«
»Ja«, sagt Edie, als wäre es das Normalste der Welt. »Das stört dich doch nicht, oder? Manche scheint es wirklich zu interessieren.«
Als ich am nächsten Morgen aufwache, tut mir der Kopf weh.
Zuerst ist da der Gedanke, dass dieses kleine Mädchen, das so gerne Elfenflügel trägt, beinahe von Rebellen gefangen genommen und zur Kindersoldatin oder Sklavin gemacht worden wäre. Während das Schlimmste, was mir je passiert ist, war, dass ich mit neun ohne Unterhosen zum Hockey gegangen bin. (Ehrlich gesagt war das wirklich ziemlich schlimm, auch wenn ich weiß, dass es mit Krieg und Rebellen nicht vergleichbar ist.)
Zweitens ist da die Erinnerung an all die unglaublich schönen Kleider, die Krähe in den letzten zwei Jahren entworfen hat. Und alles versteckt in diesem winzigen, vollgestopften Schuhkarton von einem Zimmer.
Drittens ist da das Bild, das Jenny mir gerade per MMS von der Kid Code- Premiere in Los Angeles geschickt hat. Sie haben ihr einen GELBEN HOSENANZUG verpasst. Mir fehlen die Worte.Schlimmer kann es nicht werden. Was haben sie sich für Tokio ausgedacht? Einen goldenen Bikini?
Viertens und schlimmstens, ich muss mir für heute Nachmittag etwas besonders Originelles zum Anziehen einfallen lassen, weil ich von den coolsten Modeleuten auf dem Planeten umgeben sein werde, und außerdem weiß ich inzwischen, dass Edie ZWEITAUSEND FREMDEN IM INTERNET berichtet, wie ich aussehe. Was ziemlich unheimlich ist.
Heute hat die zickige Zoe ihre Abschluss-Modenschau in Saint Martins. Harry hat mich eingeladen, und netterweise hat Skye, die ebenfalls ihren Abschluss macht, Krähe eingeladen. Ich fühle mich für so eine Veranstaltung nicht gewappnet, aber ich muss hin, allein schon wegen Harry. Irgendwas läuft zurzeit schief mit der zickigen Zoe, und vielleicht braucht er meine Hilfe. Doch zuallererst: Was soll ich anziehen?
Nach zwei Stunden sieht mein Bett unter all den verworfenen Ideen aus wie bei der Prinzessin auf der Erbse. Am Ende entscheide ich mich für meine Converse, schwarze, paillettenbestickte Leggings, ein weißes Schulhemd (was geht, solange man es NIEMALS zur Schuluniform trägt), Mums Galliano-Weste, die ich mir BEI TODESSTRAFE nicht ausleihen darf, und eine Kette, die ich aus Gummibärchen gemacht habe. Essbare Kunst. Ideal für den Fall, dass es stressig wird.
Harry trägt Jeans, ein weites Leinenhemd mit ein paar Löchern und Flipflops und sieht blendend aus, wenn auch ein bisschen salopp.
Der Nachmittag fängt nicht gut an.
Es dauert eine Weile, bis wir Zoe finden. Irgendwann entdeckeich sie in der dunklen Ecke eines Raumes, der von bunten, schummrigen Neonröhren beleuchtet ist. Sie knutscht mit einem Typ rum, der ein tailliertes Jackett, Ketten und Lederjeans trägt. Ich sehe angewidert zu und warte, bis einer von ihnen aufblickt, was nicht passiert. Sie machen einfach weiter. Irgendwann erreichen sie beim Knutschen Wissenschaftsniveau, und ich bin nur noch fasziniert. Wie atmen sie? Wo bringen sie ihre Nasen unter? Und wie schaffen sie es, dass sich ihre Gesichtspiercings nicht ineinander verhaken?
Nach gefühlten zwei Stunden kommt Harry vorbei und stellt sich nachdenklich neben mich.
»Ich
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