Modemädchen Bd. 1 - Wie Zuckerwatte mit Silberfäden
Und hat eine Taille. Eine Wespentaille. Und zarte Fesseln. Und wunderschöne Pfirsichhaut an den Schultern. Der ausladende Rock kaschiert Hüften und Schenkel. Die Korsage lässt ihre Brüste aussehen, als gehörten sie dorthin. Und die Louboutins sind das Tüpfelchen auf dem i.
Der Stil mag vom New Look inspiriert sein, doch während Dior genug Stoff für ein Festzelt verwendet hätte, hat Krähe schlaue Kniffe an Nähten und Unterröcken vorgenommen und ist mit einem Bruchteil des Materials ausgekommen, was ihre Kreation leicht und luftig macht. Die Wirkung ist etwa: »Ach, das? Ein kleines Ding, dass ich meinem perfekt proportionierten Körper schnell übergeworfen habe.«
Granny findet das Kleid toll, weil es sie nostalgisch macht. Ich finde das Kleid toll, weil es mich an Marilyn Monroe erinnert, und das ist genau die Richtung, die Jenny mit ihren Kurven ansteuern soll, finde ich. Jenny findet das Kleid toll, weil sie sich darin schön fühlt. Krähe findet das Kleid toll, weil ihr jede Sekunde damit Spaß gemacht hat.
Wir laden Edie ein, um ihre Meinung zu hören.
»Du siehst aus wie eine Prinzessin«, sagt sie nach einer ernsten Denkpause. »Eine der hübscheren.«
Ich mache mir wirklich Sorgen um Edies diplomatische Karriere.
Am Abend der Preisverleihung ist Edie damit beschäftigt, Punkte für ihren Lebenslauf zu sammeln. Krähe arbeitet. Nur ich stehe treu vor der Royal Festival Hall am Südufer der Themse und warte auf die Ankunft der Stars.
Es hat sich keine besonders große Menge gebildet. Die National Movie Awards sind nicht die Oscars. Dafür drängelt sich am roten Teppich ein Haufen Journalisten. Meryl Streep und Nicole Kidman und Kylie Minogue werden erwartet – es ist eine Nacht der A-Promis. Jetzt verstehe ich, warum ich beeindruckt sein sollte, als Jenny mir von der Nominierung erzählt hat.
Ich sehe nicht alle Berühmtheiten. Manche schleichen sich durch die Hintertür. Doch das macht nichts, denn ich bin nur wegen einer hier. Sie ist vielleicht noch nicht berühmt genug, um durch die Hintertür zu schleichen, aber das ist mir egal.
Ausnahmsweise mache ich mir keine Sorgen um ihr Aussehen. Ich weiß, dass sie wunderschön sein wird. Und das ist sie auch. Als sie über den roten Teppich schwebt, sieht sie hinreißend aus in ihrem weißen Kleid mit ihrer weißen Haut und dem glänzenden kupferroten Haar. Das Blitzlichtgewitter beginnt, und ein Paparazzo erkennt sie und ruft ihren Namen. Überrascht dreht sie sich um, und weitere Blitzlichter flammen auf. Dann beginnt es ihr Spaß zu machen, und sie setzt ein richtiges Lächeln auf und wirkt wie ein waschechter Promi, der sich bestens amüsiert.
Bis ihr Gesicht plötzlich gefriert, und ich weiß sofort, was geschehen sein muss. Ich sehe mich um, und richtig, da sind das verwuschelte Haar und die grünen Laseraugen von Joe Yule, derein makelloses schwarzes Sakko und eine himmelblaue Krawatte trägt. Man sieht ihm nicht an, dass er erst vor wenigen Stunden nach einem mörderischen Flug in London eingetroffen ist.
Sofort rufen die Fotografen seinen Namen, doch Joe ist routiniert. Zuerst kommt er zu unserer kleinen Menschentraube herüber und verteilt ein paar Autogramme. Er blendet uns alle mit seinem Lächeln, und ich könnte schwören, er sieht nur mich an. Jetzt weiß ich, was Jenny mit dem Wackelpudding-Gefühl gemeint hat, dabei war ich nicht einmal nahe genug, um seinen Mentos-Atem zu riechen.
Irgendwann dreht er sich um und geht auf die Tür zu, und ich sehe, wie Jenny in seine Richtung kommt. Joe bleibt einen Moment stehen, überrascht, dann gibt er ihr höflich einen Kuss auf die Wange. Ich sehe, dass sie ihm etwas zuflüstert. Die Leute um mich herum sehen es auch.
»Wer ist das? Seine neue Freundin?«, fragt jemand.
»Ach, Quatsch. Sie war im Film seine Schwester, vergessen?«, sagte der Kinofan neben mir. »Sie war mal dick. Aber heute sieht sie ganz putzig aus.«
Ich kann mir gut vorstellen, was Jenny gerade zu Joe gesagt hat, und ich will sehen, wie er reagiert, wobei ich wünschte, ich hätte ein Fernglas oder eins der riesigen Teleobjektive der Fotografen, um sie aus der Nähe zu beobachten. Aus meinem Blickwinkel wirkt sein Rücken, als ob er sich entspannt, und dann beginnt er schnell mit Jenny zu reden. In ihr Gesicht kehrt Farbe zurück, aber es ist nicht der alte Himbeerton. Ihre Wangen färben sich lebhaft rosa. Jetzt wirkt auch sie entspannt, und mir fällt auf, wie hübsch sie sein kann, wenn sie glücklich
Weitere Kostenlose Bücher